Nach Hause kommen

Anna Weidenholzer kommt von Berlin zurück nach Linz.

Wer zu Hause bleibt, entkommt der Welt nicht, sagte meine halbe Großmutter, und schaute einem Flugzeug nach. Meine halbe Großmutter ist genau genommen nicht meine halbe Großmutter, meine halbe Großmutter ist eine Frau, die zu mir in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis steht, sich aber wie meine Großmutter anfühlt.
Ich verbringe den Frühling mit einem Stipendium in Berlin. Ich höre Nacht für Nacht dem Nachtigallmann zu, wie er nach einer Frau zwitschert, ich wünsche dem Nachtigallmann nichts mehr als eine Frau. Wenn der Nachtigallmann verstummt, übernehmen die Amseln, die Buchfinken, die Meisen das Zwitschern. Die Vögel sind allgegenwärtig.
Es sind Spatzen, die am Flughafen Berlin-Tegel über uns wachen. Sie nisten über dem Gate, die Sitzplätze unter ihnen sind schmutzig, hier bleibt niemand sitzen. Linz fliegt ab, wo die Vögel nisten, es ist eine gemütliche Ecke.
Als dann in Hörsching die Propellermaschine über die Landebahn rollt, kommt Rainhard Fendrich aus den Lautsprechern. Sag ich am End der Welt voll Stolz und wenn ihr a wollt’s auch ganz alla, I am from Austria. Eine Frau sagt: Heute ist ein gutes Wetter, um Vorhänge zu waschen. Ein Mann pfeift leise mit. Eine andere Frau hält eine gefüllte Kotztüte in der Hand, die Sonne scheint zum Fenster herein durch das Papier. Ein Mann sagt: So ein schönes Wetter heute. Die Frau sagt: Heute trocknet alles schnell.
Landen ist ein eigenartiges Gefühl. Landen kann bedeuten wieder an einem Ort zu sein, den man vor einiger Zeit verlassen hat. In Linz zu landen bedeutet: wieder dort zu sein, wo alles vertraut ist, wo das Neue überrascht, das dann schnell zur Gewohnheit wird.
Der erste Strache hängt bei der Einfahrt nach Linz. Dem Volk sein Recht, steht auf dem Plakat, auch irgendetwas von unserer Zukunft und rot-weiß-rot. Ich sehe Flaggen. Ich denke an Drago, mit dem ich bei einem Frühstück in Berlin über die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland gesprochen habe, über Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und dem Balkan. Ich denke daran, dass er jeden für verrückt erklärt hätte, der ihm als Studenten im Jugoslawien der späten Achtziger-Jahre prophezeit hätte, dass seine Landsleute fünf Jahre später aufeinander schießen werden. Es ist ein warmer Frühlingstag. Die Bäume in Linz tragen mehr Blätter als in Berlin.

 

Anna Weidenholzer ist Autorin, lebt und arbeitet in Wien und Linz.

Produkt zum Warenkorb hinzugefügt.
0 Artikel - 0,00 

Jetzt die KUPFzeitung abonnieren!

Lass dir die KUPFzeitung viermal im Jahr bequem als Printprodukt nach Hause schicken und unterstütze damit auch die kulturpolitische Arbeit der KUPF OÖ!

Ab 24 € im Jahr