Wartehalle

Von Anna Weidenholzer

Der Herbst bringt den Winter näher. Die Menschen gehen nicht mehr kurzärmelig durch die Straßen und sitzen weniger auf Bänken herum. Sie tragen Jacken und manche schon Schal. Es war ein Oktobertag am Linzer Hauptbahnhof, einer von den warmen Tagen. Vielleicht sieben, vielleicht acht Jahre, älter war es nicht, das Kind, es ging allein bei den Fahrkartenautomaten herum und es sagte nur ein Wort: Bitte. Es blieb neben den Menschen stehen, die ihre Fahrkarten kauften. Schaute sie an, hielt die Hände auf und sagte, bitte. Mehr nicht. Vielleicht vierzig, vielleicht fünfundvierzig, war die Frau, die hinter ihrer Tochter beim Fahrkartenautomaten stand. Sie stand, schaute und hielt mit einer Hand die Tasche auf ihrer Schulter fest, die andere Hand hing herab, mehr nicht. Bis das Kind kam, seine Hände aufhielt, die Frau anschaute und sagte: Bitte. Die Frau stieß das Kind weg, mit der Hand, die sie nicht zum Handtaschenhalten benötigte. Sie sagte nichts. Das Kind schaute und ging weiter. Das ist ein Roma, sagte die Frau wenig später, als sich ihre Tochter zu ihr umdrehte, der schaut dir den Code ab. Im Kindergarten sagten sie uns, andere Kinder stößt man nicht; das tut man nicht, sagte die Kindergärtnerin und schüttelte den Kopf. In der Volksschule lernten wir, das Verb tun zu vermeiden. Im Gymnasium kam man auf die Liste der schlechten Wörter. Zu allgemein, sagte unsere Deutschlehrerin.
Es mag bessere Wörter geben, manchmal nicht.
Man stößt keine Kinder. Keine kosovarischen, keine mongolischen Kinder, keine bosnischen, keine türkischen, deutschen, tschetschenischen, nigerianischen, georgischen, französischen, afghanischen, somalischen, österreichischen, spanischen Kinder. Man stößt keine Kinder. Auch nicht, wenn das Kind schwarze Haare und braune Augen hat, auch nicht, wenn das Kind bettelt, selbst nicht, wenn in der Tageszeitung von organisierten Bettlerbanden zu lesen ist. Man stößt Kinder nicht. Man sperrt sie nicht ein und man schiebt sie nicht ab. Egal, woher sie kommen. Egal, wo sie geboren wurden und egal, welche Nationalität sie haben. Der Herbst bringt den Winter näher. Hoffentlich kommt der Frühling bald.

Anna Weidenholzer ist Autorin, lebt und arbeitet in Wien und Linz.

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