Nicht das Wetter macht den Sommer aus, die Blätter sind es. An Allerheiligen hängen sie noch zaghaft an den Bäumen, sie werden bald abgefallen sein und den Blick auf die Äste freigeben, die Zweige, das Baumgerüst. Von oben, ein Stück den Hang hinauf, ist der Friedhof von Vorderweißenbach gut einsehbar, die Mauern, die Aufbahrungshalle, das Kriegerdenkmal. Am Allerheiligennachmittag ist er so gut gefüllt, dass die Gräber nicht zu sehen sind, nur Köpfe und dunkle Jacken, eine in rot. Ich bin zum ersten Mal hier und schaue hinunter auf den Friedhof, der vor lauter Menschen als solcher kaum zu erkennen ist. Ich denke an Wrocław, nie wieder habe ich zu Allerheiligen so viele Kerzen und Chrysanthemen gesehen wie dort. An meine Großtante, die sagte: Allerheiligen ist der schönste Friedhofstag im Jahr, schau, wie viele Lichter leuchten. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich als Kind mit ihr am Grab verbrachte, es werden viele gewesen sein, wir zündeten Kerzen an, wir gossen die Blumen, schütteten das faulig riechende Vasenwasser weg, suchten schwarze Steine im weißen Kies, der das Grab umschloss, trugen Abfall zum Kompost.
An Feiertagen kam sie oft nach Linz, so lange sie sich zurechtfand, kam sie gern. „In Linz geboren allein das ist ein fürchterlicher Gedanke“, schrieb Thomas Bernhard in Heldenplatz. Linz hat ihm einen Weg in einer Wohnanlage gewidmet, gleich hinter dem Friedhof und neben dem A1. Am Allerheiligenabend führt mich der Vater einer Freundin durch die Disko, zehn Minuten dürfen wir schauen, wir gehen wie bei einer Wohnungsbesichtigung von Raum zu Raum und stoppen auf jeder Tanzfläche, wo er ein paar Takte lang tanzt. Laub liegt auf dem Boden, es sind wenig Leute hier. Beim Hinausgehen hält er zwei verkleidete Mädchen auf, er sagt: Halloween ist doch gestern gewesen. Heute ist Special-Halloween, antwortet eine und fragt, ob sie uns Herzen malen darf. So gehen wir beide nach Hause, mit zwei großen Herzen auf den Wangen, eines schwarz und eines rot. Man hat oft ein Glück, man muss es nur erkennen, sagte die Großmutter einer Freundin. Manche Sätze halten lange.
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Neuerscheinungen von Kulturinitiativen und der KUPF
Aktuelle Buch-Veröffentlichungen aus dem KUPF-Netzwerk. Watsch’n gefällig? Gleich 60 davon gibt’s in der „Edition Gnackwatsch’n“. Eine vollständige Sammlung der etwas anderen Kolumne aus 15 Jahre KUPF- Zeitung, kommentiert von den AutorInnen, literarisch eingeordnet von Stephan Roiss. Manchmal böse, meistens lustig und garantiert respektlos. Ab 9. Dezember 2014…
Land in Sicht?
Gegenwärtig werden von der EU-Ebene abwärts politische Weichen gestellt – ua. wählt Oö im kommenden Jahr seinen Landtag. Für uns KUPF-Kulturschaffende steht für die nahe Zukunft fest: Es müssen finanzielle Spielräume zurückgewonnen, bürokratische Hürden abgebaut, und es muss insgesamt eine aktivierende Kulturpolitik forciert werden. Kulturpolitik endet bekanntlich nicht an der…
Und jetzt, Herr Fuchs?
Ein Gespräch zu neuen kulturpolitischen Herausforderungen für Linz und Oberösterreich. Thomas Diesenreiter traf den ehemaligen stellvertretenden Intendanten der Kulturhauptstadt Linz09, Ulrich Fuchs, im Café Traxlmayr, um mit ihm aus Fußballkenntnismangel über Kulturpolitik zu sprechen. Thomas Diesenreiter: Im Verhältnis zwischen Land Oö und Stadt Linz hatte man in den letzten Jahren…
Der rote Schmiedl
Liebe SPÖ! Tut mir leid, aber du bist dabei. Die letzte Gnackwatsch’n, die es in die gerade erschienene „Edition Gnackwatsch’n“ der KUPF geschafft hat, trifft dich. Keine leichte Entscheidung angesichts der vielen Kandidatinnen: So hätte dich zum Beispiel das Möchtegern- Qualitätsblatt „Oberösterreichische Nachrichten“ mit seinem dumm-durchsichtigen Angriff auf dorf.tv fast…
Wie die (Un)Kultur in die Medien kommt
Ein Bericht von Otto Tremetzberger. Als mich irgendwann Mitte November die KUPF ein wenig besorgt, der Dringlichkeit wegen, anrief und bat, sehr, sehr kurzfristig und ebenso ungeplant einen Beitrag zum Thema «Kulturjournalismus in Oberösterreich» zu schreiben, habe ich natürlich, wie es meine Art ist, sofort zugesagt. Ich habe mir dann…
Veliko Tarno wo?
Die Kommunikationsguerrilla Social Impact zu Besuch im Osten. “Creativity and Wellbeing for All: Changing the Future!” war das Thema des 1. Weltgipfels der Community Arts Center und Netzwerke, der im bulgarischen Veliko Tarnovo vom 23. bis 28. September 2014 in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Netzwerk der Kulturzentren (www.encc.org) sowie mit…
Schauspieler, die Schauspieler spielen…
Und wieder, wurde erzählt, war eine Studie, eine Untersuchung aufgetaucht, in der das Prekariat untersucht oder zumindest das Thema Kunst- und Kulturarbeit in seiner ganzen Tristesse dargestellt wurde. Heute, – es ging um Jungdesignerinnen und Junggrafikerinnen – gerieten schon die 25jährigen, die glaubten schon zu wissen wie der Hase läuft,…
35 Jahre Wunscherfüllungsinstitut
Dominika Meindl erreicht Gerhard Fröhlich, den Vorsitzenden des Kulturinstituts an der Kepler Uni, in unruhigen Zeiten.
Das konvivialistische Manifest – Für eine neue Kunst des Zusammenlebens
Die Welt liegt im Argen und wer einen Blick auf die Entwicklungen des menschlichen Zusammenlebens wirft, wird sofort mit dessen Krisen konfrontiert. Klimawandel, korrupte Regierungen, Kriege, Hunger und Vertreibung sind allgegenwärtige Realität. Durch das Wissen über die Missstände zeitgenössischer Gesellschaftsentwicklung nimmt eine Gruppe von etwa vierzig wissenschaftlicher und intellektueller Autor*innen…
Parallax Error #152
Jede soziale Bewegung braucht Verbündete oder «Allies», wie sie im Englischen genannt werden, um ihre Anliegen zu verbreiten und voranzubringen. Als «Ally» wird eine Person bezeichnet, die von einer Diskriminierung nicht betroffen ist (und in dieser Hinsicht als privilegiert bezeichnet werden kann), jedoch explizit gegen diese auftritt und gegenüber Diskriminierten…
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Martin und der Mantel
Luftzug, Literaturkolumne von Anna Weidenholzer Die Autos halten weiterhin bei Rot an der Ampel, der Bus öffnet seine Türen, als ob nichts gewesen wäre, aber das hier ist jetzt ein schwarz-blaues Bundesland, regiert von einem Männerbund, müssten nicht zumindest die Bäume umgestürzt sein vor Schreck. Ich weiß nicht, wie oft…
Am Plostad Makedonija
Luftzug. Literaturkolumne von Anna Weidenholzer. Es ist diese eine Woche im Jahr, wo es unfassbar schnell passiert, dass die Welt herum hellgrün wird. Praterblätter, Praterblüten, denke ich, als ich durch Skopje gehe und an einer Gänseblümchenwiese vorbeikomme. Eine Frau sitzt auf einer Bank, ein Hund läuft vorbei, eine gelbe Marke…
Wie es war
Luftzug. Literaturkolumne von Anna Weidenholzer Hoch über dem Atlantischen Ozean sehe ich einer Katze beim Ausführen ihrer Träume zu. Suchend geht sie herum, wieder und wieder versucht sie, etwas zu fangen, das nicht da ist, sie kämpft mit einem unsichtbaren Gegner, es sind gespenstische Bilder. Die Aufnahmen sind aus den…
Löwengasse
Wir überholen eine Frau mit Kinderwagen, seitlich hängt der Kopf eines grünen Dinosauriers heraus. Die Frau schiebt den Wagen langsam, aber mit viel Kraft, als hätte das Gefährt viel Gewicht, als müsse sie sehr schnell irgendwohin und dabei stellt sich immer wieder ein Hindernis in den Weg. Die Haare der…
Bilder aus Bulgarien
In Ruse an der Donau lief ein Straßenhund die Promenade entlang, warteten die Angler auf einen Fang, saß ich auf einer Parkbank über Herbstlaub und konnte mich nicht von der Donau lösen. Zwei Bänke weiter starrte ein Mann im Jogginganzug abwechselnd auf den Fluss und die wenigen Leute, die an…
Bilder aus Linz und Leonding
Schweinsbraten ist eine Männerlust, sagte eine Frau beim Mostbauern, und Putenfleisch reizt mich nicht. Am Donnerstag, der Topfenstrudel, dafür waren sie berühmt, deshalb sind wir hingegangen. Sie trank einen Schluck und sprach weiter, als sie das Glas wieder am Tisch abstellte. Aber den Grenadiermarsch, nein, den kennen sie nicht. Sie…
Bilder aus Ungarn
Ich suche den Untergang, sagte Anikó, als es zu dämmern begann. Untergang, wiederholte sie und lachte, ich bin wirklich schon müde, lass uns schauen, wo man hier nach unten kommt. Die ersten Pflanzen blühten am Burgberg in Budapest, die Bäume begannen wieder, grün zu tragen. Es gibt keinen Frühling mehr,…
27 Versuche über den Herbst 2042
In Kitzbühel hörte ich über Oberösterreich, dass man dort gern ein wenig sage. Die Linzerinnen seien gut angezogene Frauen und in Schwertberg gebe es wunderbaren Schnaps. Eine Einheimische meinte im November: Jetzt gehört die Stadt wieder uns. Geisterstadt, dachte ich, als ich vorbei an geschlossenen Läden ging, die Pferde warten…
Bitte, Werkzeug mitbringen
Berg heil, sagen die Männer, als sie uns kommen sehen. Grüß Gott, antwortet ihnen die Frau, die ein paar Minuten später am Gipfel ankommt. Vom Plassen ist es weit nach unten. Der Hallstättersee liegt vor uns, so klein, dass ich ihn verdecken könnte, wenn ich meine Beine hebe und die…
Nach Hause kommen
Anna Weidenholzer kommt von Berlin zurück nach Linz. Wer zu Hause bleibt, entkommt der Welt nicht, sagte meine halbe Großmutter, und schaute einem Flugzeug nach. Meine halbe Großmutter ist genau genommen nicht meine halbe Großmutter, meine halbe Großmutter ist eine Frau, die zu mir in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis steht, sich…
Am Fluss
Anna Weidenholzer spaziert gern den Donaukanal entlang. Die Biber müssen schöne Tiere mit hässlichen Zähnen sein, die Biber müssen fleißig sein. Ich habe die Biber noch nicht gesehen, aber ich komme mehrmals in der Woche an ihrer Stelle vorbei, dort, wo seit Monaten ein Unterhemd in den Büschen hängt, das…
Graue Wiener
von Anna Weidenholzer Schlachten, sagte der Mann am Einlass, mein Zuchtfreund, nächste Woche schlachten wir. Der Graue Wiener saß gleich hinter der Eingangstür. Sein Käfig stand ganz oben und näherte man sich ihm, versteckte er sich in der hinteren Ecke. Zwischen Eingangstür und dem Grauen Wiener saßen die Männer, die…
Solche Tage
Anna Weidenholzer über schreckliche Tage. Und deren Wiederholung. Es gibt solche Tage und solche, auch viel dazwischen. An solchen Tagen wiederholen sie sich, die Bilder, die Töne, die Wörter. Manchmal auch an den Tagen dazwischen. Es wiederholt sich. Die Menschen in Wien gehen wie die Menschen in Linz auf den…
Wartehalle
Von Anna Weidenholzer Der Herbst bringt den Winter näher. Die Menschen gehen nicht mehr kurzärmelig durch die Straßen und sitzen weniger auf Bänken herum. Sie tragen Jacken und manche schon Schal. Es war ein Oktobertag am Linzer Hauptbahnhof, einer von den warmen Tagen. Vielleicht sieben, vielleicht acht Jahre, älter war…