In der Linzer Bucht

Eugenie Kain über die Stille am 1. Mai

 

Was für Venedig gilt, ist auch für Linz festzustellen. Am schönsten ist die Stadt, wenn man sich ihr mit dem Schiffe nähert. Nach dem Durchbruch zwischen Mühlviertel und Kürnberger Wald tritt die Donau in die Ebene hinaus. Geologisch gesehen, weicht der Kristallin zwischen Kürnberg, Pöstlingberg und Pfenningberg zurück, dadurch wird eine Bucht gebildet, in der die Donau einen nach Norden gerichteten Halbkreis beschreibt, bevor sie Richtung Sonnenaufgang fließt. In der Bucht liegt Linz. Zu Zeiten der DDSG habe ich in der Hofgasse einen volltrunkenen Dichter aus Offenburg getroffen. Er war mit dem Donauschiff gekommen, hatte den Neuen Dom mit dem Stephansdom verwechselt und war in Linz gestrandet. Vor dem Corretto verteilte er seine im Eigenverlag erschienenen Gedichtbände, die er für eine Lesung in Wien mitgenommen hatte. Ein Band hieß „Gransdreiwle“, ein Dialektwort für Ribisel.

Ungefähr zur selben Zeit saß ich mit einem Indianer vom Stamm der Oglala Dakota auf der Urfahrer Seite an der Donau vor der Stadtwerkstatt. Er war mit dem Friedenszug durch Europa unterwegs. Wir hatten einen Doppler dabei und sprachen über die Black Hills, Mrs. Thatcher, was wir uns alles nicht gefallen lassen dürfen, wir sprachen über Neil Young, über die Rüstungsindustrie, Wounded Knee, die Donau, den Donnervogel, John Steinbeck und Georg Trakl, bis die Donau rosa wurde, nicht weil das Licht vom Lentos wechselte, sondern weil die Sonne aufging.

Das fällt mir ein, auf der Landstraße, wo sie in die Schmidtorstraße mündet und beim Maiaufmarsch das „Hoch die Internationale Solidarität“ die Wände der Bürgerhäuser, die jetzt Raiffeisen und den Banken gehören, hinaufhallert und klingt, als wären wir dreimal so viel und ich mir vorstelle, wie es erst klingen würde, wenn alle Ich-AGs, Geringfügigen, Befristeten, Freischaffenden, freien DienstnehmerInnen, McJobberInnen und SelbstausbeuterInnen mitgingen an diesem Tag der Arbeit, der auch der ihre ist. Guter Sound. Aber es bleibt ruhig in der Linzer Bucht und nicht nur dort.

Eugenie Kain

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