Die Grenze

Die Grenze sieht Ljubomir Bratic als einbetonierten Übergangsraum.

 

Nicht die Gesetze, die sie propagiert und nicht die Fremdenbehörden sind es, die einen Staat zum Staat machen, und schon gar nicht die SoldatInnen im Sondereinsatz. Es ist die Grenze.

Aber vielleicht ist es nicht einmal die Grenze. Vielleicht ist es die Schwelle. Denn wenn der Staat etwas in Raum Strukturiertes ist, eine eigene Welt, dann ist es die Schwelle, die im Moment des Übertritts für einen Augenblick daran erinnert, wer du bist, der/die MigrantIn, die hier einem rassistischen Regime unterworfen ist oder der/die Eingeborene selbst.

Die Grenze – seit es sie gibt, immer aus einem Vertrag gefertigt – will eine Abwehr oder Hindernis bedeuten. Sie macht in den Vorstellungen dem Schmutz das Eindringen schwer. Im übrigen aber markiert sie den Ort des Übergangs: Wer sie überquert hat, der hat die Welt der Barbaren hinter sich gelassen und ist in eine Sphäre des Gewünschten eingetroffen. So die gängige Vorstellung. Zuvor aber heißt es, sich die notwendigen Informationen über die Netzwerke zu verschaffen, den Beamten in der österreichischen Botschaft saftig zu bestechen und warten, dass die Grenze sich öffnet, die Grenze, dieses für die MigrantInnen aus zwei Container (und einer einbetonierten Fläche dazwischen) bestehende Stück Aggressivität.

Und dann kommt der Moment, wo sich der Mensch auf der anderen Seite befindet und wo – im schönsten Fall – diejenigen Situationen eintreffen, die so viele Mal durch den Kopf gegangen sind. Und warum sich nicht den schönsten aller Fälle ausdenken, wo aus langer Erwartung die herbeigesehnte Erfüllung wird! Kein Wunder, wenn die Grenze vor langem Staunen über diese Möglichkeit, möglicherweise nach diesem egalibertären Schritt für immer offen bleibt. Dem ist aber nicht so, sie, die mörderischste aller Einrichtungen des Nationalstaates, schließt sich, und nun ist sie das, was sie sein soll: Schild, das alles an unerwünschten Kommunikation verhindert, Anbringungsort von Grenzposten und GrenzsoldatInnen. Ein Garant für die ungestörte Fressorgie des Untersichseins. Und wer nicht die botschaftlichen Bestechungsrituale zahlen konnte, wird für sein/ihr Eintreten kaum Nachsicht, geschweige denn Wohlwollen erwarten dürfen.

Aber eines ist sicher, die Grenzen, so solide sie nicht nur aussehen, sondern auch sein mögen, werden in nächster Zeit, egal was die, an den MigrantInnen gut verdienenden Eingeborenen für Vorstellungen pflegen, verschwinden. Denn nur zu oft ist sie, dieses geographische Stück Raum, der allemal unschuldige Raum, das Instrument der Herrschaft gewesen und wurde zum Töten von Abermillionen von Menschen verwendet, als sei sie selber ein Zweck des Verbrechens dahinter. Wo sie doch beide Seiten des Raumes kennt, die eine und die andere und sie verbindet.

Miteinander: Denn ab und zu, denken wir, sind die Grenzen für alle offen. Denken wir. Wer aber je eine mit Stacheldraht und Selbstschussgewehren präparierte Grenze gesehen hat – und wer hat das nicht? – der/die weiß, zu welchen Verbrechen die Nationalstaaten, zu welcher Brutalität und Blutrünstigkeit sie fähig sind. Und eben da liegt die Moral dieses einbetonierten Übergangsraumes: sie fordert von uns eines zu tun, möglichst schnell und möglichst gründlich alles aufzuheben.

Ljubomir Bratic

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