Seht, wie ich leide

Andi Wahl über Herwig Strobel’s neue Buch „Auf den Weg – Musikalische Reminiszenzen“.

 

Herwig Strobl ist ein ausgezeichneter, vielseitig begabter und geschätzter Musiker. Vor allem mit der Interpretation jüdischer Lieder (im speziellen der Klesmer-Tradition) hat er sich mit seinem Ensemble „10saiten 1 bogen“ weit über Europas Grenzen einen Namen gemacht. Nun hat Herwig Strobl seine Erinnerungen in einem Buch zusammengefasst.

In diesem lässt er auch hinter die Kulissen seines Künstlerdaseins blicken. Und was man da entdeckt, lässt einen erschaudern. Herwig Strobl trägt seine Herkunft aus „einer hochkarätigen Nazifamilie“ wie einen Bauchladen vor sich her. Bereits der zweite Satz des Klappentextes, der außen auf das Buch gedruckt ist, klärt uns über diesen Umstand auf. Im Buch erfahren wir dann, dass Herwig Strobls Vater nationalsozialistischer Ortsgruppenleiter in Reichenau (Mühlviertel) gewesen ist. Die Bezeichnung „hochkarätig“ ist hier wohl etwas übertrieben.

Dennoch scheint Herwig Strobl bis heute unter diesem Umstand und unter der autoritären Erziehung durch seinen Vater zu leiden. Zumindest lässt er beinahe keine Gelegenheit aus, um darauf hinzuweisen, und einen zwingenden Kontext zu seiner Beschäftigung mit jüdischer Kultur herzustellen. Ein nicht nur für Strobl immer wieder aufs neue schmerzhafter Prozess. Auch als Leser bekommt man seinen Teil des Schmerzes ab und ist versucht, Strobl umgehend anzurufen und ihm zu raten, sich endlich in ärztliche Behandlung zu begeben. Zu musizieren und sich mit jüdischer Kultur auseinander zu setzen, kann die Probleme dieses Mannes, die er seit seiner Kindheit mit sich herumschleppt (und die ihm durch die Jahre vielleicht auch liebgeworden sind), nicht lösen. Es wäre auch ein unzulässiger Missbrauch dieser Musik und dieser Kultur.

Daher wollen wir Strobl, dem Musiker, zu Gute halten, was wir Strobl, dem Autor, nur schwerlich abnehmen können: jüdische Musik zu spielen, weil sie ihn innerlich berührt und er sie einfach schön findet. Bemerkenswert an Strobls Buch ist seine schonungslose Offenheit und Streitbarkeit. Schonungslos zieht er über Menschen, die bisher seinen Weg kreuzten, her, lässt an beinahe keinem ein gutes Haar und scheut sich auch nicht, intime Details auszubreiten. So klagt Strobl über die Lieblosigkeit seines Vaters, um einige Seiten später seine eigenen Kinder so beiläufig zu erwähnen, als seien sie nur zufälliges Beiwerk seines Lebens. Er setzt mehr Liebe in die Beschreibung eines neu erworbenen Instruments, als in die Beschreibung seiner Kinder.

Hätte ich Herwig Strobl nicht schon früher kennen und schätzen gelernt, er wäre mir nach Lektüre dieses Buches höchst unsympathisch.

Herwig Strobl, „Auf dem Weg – Musikalische Reminiszenzen“, edition sandkorn, Euro 17,95 (ATS 248,-)

Andi Wahl

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