Zeitbasar – eine migrantisch-feministische Praxis in process

Luzenir Caixeta über die Möglichkeiten, Handlungsfähigkeiten wieder zu erobern.

 

„Viel zu tun? Keine Zeit für ‚Wichtigeres’? Wie wäre es, wenn du mehr Zeit für das hättest, was du gerne machst? Und wenn jemand anderer einige deiner Aufgaben für dich erledigen würde? Das ist tatsächlich möglich mit Zeitbasar!“ Während sich der zeitgenössische Kapitalismus im europäischen Territorium durch ein neues Diagramm von Ausbeutung und Herrschaft definiert, das eine Neubestimmung der Arbeits- und Lebensformen ins Zentrum der Produktionsverhältnisse stellt und Frauen/ Migrantinnen immer mehr in die Prekarität schiebt, sind Migrantinnen aktiv auf der Suche nach Alternativen. Die Prekarisierung der Existenz, die kein Zurück kennt, hat zur Folge, dass wir in einer Realität leben, die in Stücke bricht.

Soziale Bindungen werden dabei aufgelöst. Die Organisierung der Care/“Fürsorge“ in diesen Kontext ist eine Tatsache, mit welchem die gesamte Bevölkerung heute unvermeidlich neu konfrontiert ist und die unsere gesamte Existenz durchzieht. Eine zentrale Frage dabei ist, was es heute bedeutet, über Fürsorge zu reden aus drei Perspektiven: (1) institutionalisierter Politiken und Reformen als auch aus (2) der Frauen, die letztendlich diese Aufgabe übernehmen (müssen), ABER AUCH aus der Perspektive (3) der Migrantinnen, von denen die FürsorgeDIENSTleistungen, als Lösung für das Problem, zugekauft werden.

Diese Frage ist komplex und bezieht sich auf verschiedene Zusammenhänge wie Prekarität und Migration, Produktion neuer Schichtungen in den stets rigideren aber subtileren Formen im Sex-Gender-System sowie die Ordnung und Kontrolle des Lebens, den (unsichtbaren und prekarisierten) Kreisläufen seiner Erhaltung (wer trägt Sorge für das Leben). Sie steht daher in Verbindung mit den Möglichkeiten, andere Veränderung bewirkende soziale Organisationsformen zu denken, die den neuen Ausbeutungsformen, die insbesondere auf Frauen vernichtende Auswirkungen haben, kämpferisch gegenüberstehen. Es handelt sich demnach auch um die Frage, wie neue feministische (und migrantische) Praxen auf diese Probleme antworten können. In der Tagung „Migrantinnen öffnen Türen“ am 08. März 2008 (von maiz veranstaltet innerhalb des Projektes „Migrantinnen_MACHT in process“) haben Migrantinnen sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Die Teilnehmerinnen haben sich entschieden, im Bewusstsein ihrer Fürsorgeprobleme einerseits und über ihre vielen Handlungsfähigkeiten andererseits, einen Zeitbasar zu organisieren, bei dem sie diese Handlungsfähigkeiten wiedererobern und artikulieren möchten. Der Zeitbasar soll ein Austausch von Zeit und von allen Arten des Wissens und Fähigkeiten sein und zeigen, dass im neoliberalen Kontext auch eine andere Logik möglich ist. „Wir lassen uns nicht auf die restriktive und rassistische Arbeitsmarktpolitik reduzieren. Wir öffnen neue Türen, damit wir unsere Handlungsfähigkeiten durchsetzen können!“ (Statement einer Teilnehmerin). Einige Kriterien und die nächsten Schritte für die Umsetzung dieser Idee wurden noch am selben Tag mit großer Motivation aufgestellt bzw. gesetzt. In den ersten 6 Monaten ist die Initiative nur für Migrantinnen geplant. Danach wird evaluiert, ob eine Öffnung für die Mehrheitsgesellschaft und auch für das andere Geschlecht gemacht wird oder nicht. Die Initiative wird von den Vereinen maiz und ADA unterstützt, ist aber als unabhängiges Netzwerk zu verstehen. Alle Migrantinnen sind eingeladen!

Für mehr Informationen: zeitbasar@servus.at

Luzenir Caixeta ist Aktivistin bei maiz.

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