das „exotische“ und das „banale“

…und die Austauschbarkeit von Attribuierungen. Krisi Hofer berichtet, was passieren kann, wenn man sich von einer gewohnten sozialen Umgebung verabschiedet.

 

wird man wie ich in eine mehrheitsösterreichische familie ohne aktuellen migrationshintergrund (die ära der böhmisch-mühlviertlerischen querheiraten liegen lange zurück und gelten deswegen nicht) hineingeboren und ergibt es sich, dass man einen grossen teil der eigenen existenz im kuscheligen österreich einer Weißen mittelklasse verbringt, macht man sich über die eigene herkunft – wenn überhaupt – meist eher weniger gedanken. dass man Weiß ist und österreichische staatsbürgerin – eh klar. „Anders“ sind die anderen. selber ist man standard. normal! Da hilft auch das bisschen herumpantschen in antirassistischer arbeit wenig: klar, exotik gehört dekonstruiert. dass exotisierungen des „Anderen“ allerdings immer mit der banalisierung des „Eigenen“ einher gehen, wird dabei meist übersehen: gegenstand einer reflexion auf dieser ebene ist und bleibt wiederum nur das als fremd wahrgenommene „exotische“, die eigene herkunft bzw. der eigene in der gesellschaft eingenommene platz steht nicht zur debatte. tellerrand.

anders beginnt die sache auszusehen, wenn man sich von einer gewohnten sozialen umgebung verabschiedet und sich in einer aus einer eurozentristischen sichtweise heraus nachdrücklich exotisierten gesellschaft niederlässt: alle gewohnten standards scheinen über den haufen geworfen. ich selbst lebe seit einiger zeit in beijing, der hauptstadt der volksrepublik china; in einer sozialen umgebung, in der ich jederzeit sofort als fremde, als „ausländerin“ 1 erkennbar bin. die chinesische gesellschaft, ihrerseits hochgradig ausschließend gegenüber allem, was nicht-han2 ist, hält der europäerin oft genug den spiegel vor. plötzlich bin es ich, die „exotisch“ ist: meine braunen haare, meine große nase, mein akzent, wenn ich chinesisch spreche, die seltsamen dinge, die ich essen und trinken möchte. ganz egal, wie lange ich schon hier lebe, wie gut oder schlecht ich die sprache beherrsche, wie trittsicher ich mich durch schwierige soziale situationen bewege: von mir wird beinahe erwartet, dass ich mich unwohl fühle, dass ich etwas fürchterlich falsch mache, dass ich hilflos bin. ob ich denn essstäbchen benutzen könne?, fragt mich ein bekannter beim gemeinsamen abendessen. mein offensichtliches Anderssein hier plagt mich. strategien, um diesem unguten gefühl beizukommen, sind der vorauseilende gehorsam (ich verhalte mich so „anders“ und ungeschickt, wie es von der drolligen „ausländerin“ erwartet wird), oder aber die flucht in überlegenheitsgedanken (man ist ja schließlich immer noch Weiß und hat somit während dem aufwachsen im „Westen“ eine gute dosis suprematie mit dem goldenen löffel in den schnabel gestopft bekommen). Befriedigend ist keine dieser strategien. es dauert.

Krisi Hofer ist Musikerin, Soziologin und Aktivistin aus Linz. Zur Zeit lebt, rockt und arbeitet sie im Rahmen eines Linz-Export-Projektes in Peking.

1 waiguoren, wortwörtlich „mensch von außerhalb des landes“ bzw. „ausländerIn“, dient in china zur bezeichnung jedweder nicht-chinesischen person, trägt angeblich keine negative konnotation und wird in jeder situation oft und gern verwendet. 2 hanzu, bezeichnet die ethnische gruppe, die einen großteil der chinesischen bevölkerung (91%) ausmacht.

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