Paralleluniversum

Eugenie Kain über modernisierungstendenzen oberösterreichischer Goldhaubengruppen.

 

Im Kasten hängt ein Dirndlkleid. Das Leibchen aus rotem Brokat mit schwarzen Samtbändern eingefasst, der Rock aus schwarzem Wollstoff, die Baumwollschürze mit Blaudruckmuster. Das Kleid stammt vom Flohmarkt. Es passt nicht richtig. Der Rock schwingt um die Knie, das Oberteil ist zu eng, schnürt die Brust ab, nimmt die Luft. Beim Einatmen krachen die Nähte. Ich mag keine Kopfbedeckungen. Hut steht mir nicht, Haube schaut doof aus mit langen Haaren, ein Kopftuch würgt. Wenn es zu kalt wird, reicht ein über Kopf und Ohren gezogener Schal und die Zuversicht, dass nach der Kälte wieder etwas anderes kommt.

Vorübergehend weckte eine Pressekonferenz der Landesobfrau der oberösterreichischen Goldhauben – „Kopftuch- und Hutgruppen“ das Interesse. Goldhauben werden nicht wegen der Kälte getragen, sondern aus Tradition. Und weil sie zumindest den Geruch der Mottenpulverfahne evozieren, setzt ihre Landesobfrau auf Erneuerung. Goldhaubenfrauen sticken nicht nur an den Hauben und pflegen Brauchtum, sondern betätigen sich auch als Charity-Ladies. Zum neuen Leitbild gehören ein schicker Folder und der Internet-Auftritt. Voilà: Die Goldhaube stammt von der Bodenhaube ab und entwickelte sich parallel zur schwarzen Perlhaube. Ursprünglich saß sie nur auf den Köpfen der reichsten Frauen des Steyr- und Kremstales, inzwischen hat sie Klassenschranken längst übersprungen und formt Frauen aller Gesellschaftsschichten zu einer „lebendigen Gemeinschaft“. Das ist noch nie gut ausgegangen. Immerhin: Über den Mitgliederstand der Sektion Bindermichl war im Netz nichts zu erfahren. Dafür ist die gesamte Trachtenszene des Landes mit ihren ehernen Gesetzen gelinkt. Eng wie das Mieder, steif wie der Trachtenschuh, Hirschhornknopf und Edelweiß scharf im Visier.

Der neue Folder hat Unruhe in die Goldhaubenschar und ihr Umfeld gebracht. Denn ein Model hat keine auf den ersten Blick als oberösterreichisch erkennbare Gesichtsfarbe. Sie lässt afrikanische Assoziationen zu und da beginnt das Radl zu rennen in Richtung Oberösterreicher im Lendenschurz etc. Die Obfrau beruhigte. Das Model ist Österreicherin mit US-amerikanischem Vater und Goldhaubenfrau mit der Goldhaube der Großmutter. Die Wogen im Paralleluniversum legten sich. Auch Google lässt sich mit „Goldhaube“ füttern und spuckt. Etwa, dass die Linzer Bürgerinnen zu ihrer schwarzen, bodenlangen Tracht ein so genanntes „türkisches Tuch“ bevorzugten. Es wurde um die Schultern gelegt. Auf dem Kopf saß die Haube.

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