Land unter

Eugenie Kain spekuliert, was der Fluss so bringt.

 

Am schrecklichsten ist das Geräusch des Wassers, ein anschwellendes Rauschen und Zischen, das plötzlich da ist, Sekunden vor der schäumenden Flut, die überschwemmt, zerstört und fortreißt. Nach dem Wasser liegt noch einige Zeit der Geruch über dem Land, der Geruch von nassem Schlamm, Verwesung, Moder und Chemie. Am längsten bleiben die Bilder. Damm und – flussbettlose Wasserlandschaften, Wasser mit Kirchturm, Wasser mit Mostbirnbaumkrone, Wasser mit Hausdach. Und Bilder der Verwüstung. In der Natur, im Ortskern, im Wohnzimmer. Zerstörte Brücken, aufgebrochene Fundamente. An der helleren Farbe der Baumstämme ist die Höhe des Wasserstandes noch lange nach dem Verschwinden des Hochwassers abzulesen, Sand auf der Rinde, auf den Ästen und Blättern der Weiden, Pappeln und Hollerstauden. Am Boden liegt der Schlamm, dick und schwer mit erstarrter Strömung. Es bilden sich Risse und Spalten, die auseinander klaffen und Schatten werfen, bevor sich an den Rändern zuerst die Brennnesseln und dann das drüsige Springkraut darüber hinwegsetzen, hinein in die Wolken einer explodierenden Gelsenpopulation.

Mit dem Hochwasser schwindet der unmittelbare Eindruck. Das heimtückische Geräusch der sich ankündigenden Katastrophe kennen nur die Betroffenen und das Gefühl, ohne Ausweg bis zum kalten Bauch im Wasser zu stehen auch noch die Helferinnen und Helfer. Der Geruch ist später vom Gedächtnis am schwersten abrufbar – bis das Wasser wieder steigt. Bleiben die Bilder der Erinnerung und des Photoapparats. In dieser Eindimensionalität wirkt ihre Ästhetik des Schreckens meist verharmlosend. Von ertrunkenen Rehen, deren aufgedunsenen Bäuchen Verwesungsgestank entweicht, bleibt die Faszination an der Symmetrie in exakten Reihen aufgelegter Leiber und an der Farbenharmonie des Todes.

Schnitt. Speed kills. Wende. War das Hochwasser der Kick für die sich jetzt wie ein Kreisel drehende Wende? Oder sinkende Popularitätswerte? Jedenfalls sind Neuwahlen angesagt. 8 Wochen Wahlkampf mit selbsternannten Schlachtrössern und zur Seite geschobenen Eurofightern. Es bleibt wenig Gelegenheit, um sachlich in die Tiefe zu gehen, aber genügend Zeit um sehr tief zu werden. Aus sich zerbrechenden Köpfen wurde ein Haupt gezerrt, in die vorderste Reihe geschoben von Männern mit tiefen Schnitten im Gesicht und Frauen, an die der Einsatzbefehl noch nicht ergangen ist. Der „Bin schon weg“ ist da, wie er nie weg war, um dem Mann, der das Wort Gelassenheit in Verruf gebracht hat, an die Gurgel zu gehen, der wiederum eine Hand braucht, die füttert – und zuschlägt und zudrückt, die er aber nicht beißen darf. Eine Schüssel aufs Haupt, warum nicht, zur Not auch darunter. Ich will Kanzler bleiben. Alle miteinander spekulieren sie auf das Kurzzeitgedächtnis der WählerInnen. Wir werden sehen, was der Fluss so bringt.

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