Es ist die Wahl der Qual

Die Wahlen der Qualen kennt Vina Yun.

 

Als Kind der so genannten “Zweiten Generation” stehen mir für gewöhnlich zwei einander gegenüber stehende Repräsentationsfiguren zur Verfügung: Entweder bin ich das zerrissene Wesen zwischen zwei vermeintlich unvereinbaren Kulturen (Samuel Huntington in der light-Version) – psychisch und emotional instabil, auf jeden Fall aber angesichts der “kulturellen Inkompatibiltäten” leidend bis depressiv –, oder ich darf mich als lebender Beweis und fleischgewordenes Produkt einer erfolgreichen kulturellen Verschmelzung tätscheln lassen.

“Toll, da kannst du dir das Beste aus beiden Kulturen rausholen!”, erklären mir liberale Geister und kriegen angesichts ihrer eigenen öden, mitteleuropäischen Single-Kultur fast feuchte Augen. Dementsprechend dramatisch entwickelt sich die Situation, wenn ich mich als Koreanerin oute, die eben nicht oder nur miserabel Koreanisch spricht – als wäre es meine Pflicht, mich an der Rolle der kulturellen Dolmetscherin zu erfreuen. Jede Entscheidung dagegen wird mit Mitleid und Verachtung bestraft. Vielen scheint es einige Schwierigkeiten zu bereiten, mich weder als Opfer, das ständig an den inneren wie äußeren Widersprüchen leidet, noch als “Heldin zwischen den Kulturen”, das ohne Reibungswiderstände durch die “Welten” gleitet, zu sehen.

In einem Interview mit der Schweizer Wochenzeitung WOZ erklärte Gayatri Chakravorty Spivak einmal: “Die meisten von uns gutsituierten Migrantinnen und Migranten, die aussehen, als kämen sie von anderswo, aber dennoch völlig in die westliche Gesellschaft integriert sind, werden für diese Rolle als sogenannte Kulturvermittelnde belohnt. (…) Gutsituierte Frauen in der Diaspora achten nicht auf die ökonomischen Aspekte, weil sie selbst eurozentristisch orientierte, ökonomische Migrantinnen sind.” Ich selbst bin keine Migrantin, besitze alle rechtlichen Privilegien einer österreichischen Staatsbürgerin.

Ich lebe seit 30 Jahren in Österreich und obwohl ich in Südkorea nicht als Fremde wahrgenommen werde, kann ich mich dort mit Englisch besser durchschlagen als mit meinen schlechten Koreanisch-Kenntnissen. Auch wenn ich mich hier immer wieder mit den kulturellen Zuschreibungen der “Asiatin” herumschlagen muss und ich mich in Situationen wiederfinde, in denen ich mich selbst mit den Augen meiner BetrachterInnen sehe, spreche ich nicht einfach aus einer Position des Ausschlusses heraus. Ich spreche nicht, um es mit Spivak zu formulieren, für Migrantinnen, sondern beziehe mich auf sie, und kann mithilfe dieses Wissens – wie auch weiße westliche Feministinnen – wiederum in diversen Institutionen aufsteigen, symbolisches/kulturelles Kapital sammeln oder Texte publizieren – wie auch in dieser Kolumne.

Vina Yun

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