Wohin mit all der Gegenwart?

Christian Winkler über Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum in Salzburg.

Klischees und Identitäten

Einem bewährten Klischee zufolge gleicht die Stadt Salzburg einem Freiluftmuseum. Zwischen den beiden Stadtbergen finden sich in den vielen verwinkelten Gassen und rund 50 Kirchen unzählige barocke Fresken und allerhand kunsthistorische Schätze. Nicht umsonst ist die Stadt als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt. Bereits die fürsterzbischöfliche Stadtplanung aus der Frühneuzeit orientierte sich mit den offenen, luftigen Begegnungsplätzen im Zentrum an italienischen Renaissanceidealen. Machtpolitik traf auf die Einladung zum kontemplativen Flanieren. Das Salzburger Umland hingegen steht für Skitourismus, für die Hochalpen und das Brauchtum. Im Schatten dieser historisch gewachsenen Schönheiten und der glücklichen Topografie aus Bergen hier und Seen dort, bewegen sich Bemühungen um eine urbane Identität. Kann Gegenwartskunst in einer so aufgeladenen Region eine aktive Rolle bei der Gestaltung von Stadt und Land spielen? „Es ist schwierig und auch nur bedingt reizvoll, neue Kunst zu machen, wo sich bereits so viel Kunst und Kultur befindet“, resümiert die renommierte Kunsthistorikerin Hildegund Amanshauser. Als ehemalige Direktorin des Salzburger Kunstvereins sowie der Internationalen Sommerakademie verantwortete sie zwei international beachtete Zentren für zeitgenössische Kunst. 

Der Fördertopf Kunst am Bau

Seit Anfang 2023 sitzt Amanshauser dem Fachausschuss von „Kunst am Bau – Kunst im öffentlichen Raum“ vor. Dieser Fördertopf ist durch das Land Salzburg finanziert und geht auf eine im hiesigen Kulturfördergesetz verankerte Auflage aus den 1980er Jahren zurück. Dieser zufolge sind 1-2 % der Baukosten von Gebäuden, die durch das Land Salzburg errichtet werden, für künstlerische Gestaltung zu verwenden. Seit 2008 finanziert sich der Fonds unabhängig von Prozentsätzen, wodurch sich die Lage einerseits verbessert habe: Originäre Kunst könne nun an jenen öffentlichen Gebäuden und dort im öffentlichen Raum realisiert werden, wo dies auch erwünscht sei, erläutert Architektin und Geschäftsführerin des Fonds, Christina Tscherteu. Andererseits kritisiert sie, dass dadurch die Budgetmittel tendenziell geringer geworden sind. 

Partizipation und Aufsehen

Pro Jahr verfolgen vier bis fünf teils temporäre, teils skulpturale Kunstprojekte den Anspruch, Kunst als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft öffentlich zugänglich zu machen. Ob das immer gelingt, ist gerade in Salzburg oft fraglich. Aber immerhin: 2006 sorgte etwa eine Petition mit dem Titel „Salzburg bleibt frei“ für Aufsehen. Darin wurde ein Verbot von Kunst im öffentlichen Raum gefordert. Die ironisch gemeinte Kampagne des Aktionskünstlers Christoph Büchel erreichte binnen zwei Wochen die nötige Anzahl an Unterstützungserklärungen, wodurch ein aufwändiges und für die Stadt kostspieliges Bürger*innenbegehren drohte. Ebenfalls auf starken Gegenwind stieß die Errichtung eines außen minimalistisch anmutenden Pavillons von Anselm Kiefer, der auf Druck zahlreicher kritischer Stimmen entfernt werden musste – um nur wenige Meter weiter erneut aufgestellt zu werden. Eine Skulptur des Kunstkollektivs Gelatin, die als Triumphbogen gestaltet ist und einen nackten männlichen Körper mit erigiertem Penis zeigt, ebenfalls im Festspielbezirk, musste dauerhaft aus dem Stadtbild weichen, für ihn fand sich – anders als bei Kiefer – kein geeigneterer Ersatz-Standort. Trotzdem betont Amanshauser: „Es ist ein Klischee, dass Salzburg im Bereich zeitgenössischer Kunst schlafe. Es hat sich über die Jahre sehr viel zum Positiven verändert. Steter Tropfen höhlt auch hier den Stein“. Auch Karoline Radenković, die Leiterin des Ausstellungsraums FÜNFZIGZWANZIG, hebt die hohe Qualität von zeitgenössischer Kunst in Salzburg hervor. Zwar sei mit Blick auf Kunst im öffentlichen Raum nicht immer klar, wie die Auswahlprozesse vonstatten gingen, gerade in jüngster Zeit lasse sich aber beobachten, wie stark auch die junge Szene in Kunstprojekte im öffentlichen Raum eingebunden sei. 

Aktuelle Projekte und Fragestellungen

Unter dem Titel Land zieht um etwa wagten sich Kollektive wie das atelier ///, die raumarbeiterinnen oder die Schriftstellerin Birgit Birnbacher an temporäre Kunstprojekte, die sich mit den unterschiedlichen Interessen und Widersprüchlichkeiten in der Ausverhandlung von Gesellschaft befassen. Anlass dafür ist der Auszug von Abteilungen und Referaten des Landes Salzburgs aus zum Teil historischen Gebäuden im Stadtgebiet und deren Ansiedlung in einem neuen, etwas außerhalb gelegenen Landesdienstleistungszentrum, das für kolportierte 195 Millionen Euro bis 2026 gebaut wird. Durch den Neubau und grundsätzlich, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht, stellen sich Fragen: Wem gehört der öffentliche Raum? Welche neuralgischen politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Themen eröffnet er? Und wie aktiviert er kulturelle Diskurse, die mit künstlerischen Mitteln ästhetische Erfahrungen für alle ermöglichen, ohne allzu theoriebasiert oder voraussetzungsvoll zu sein? Besonders geglückt sei das, so Hildegund Amanshauser, mit der Bespielung der Großglockner Hochalpenstraße. Serpentine – A Touch of Heaven (and Hell) warf von 2020 bis 2023 mit großformatiger Malerei und Skulpturen eine Fülle an Fragen unserer Zeit auf – vom Klimawandel bis hin zum Massentourismus. Damit konfrontierte das Projekt all jene, die durch die schöne Landschaft fuhren. Eine weitere Kunstaktion hinterfragt das kulturelle Gedächtnis des Raumes: Unter dem Titel Ort(e) des Gedenkens rücken Künstler*innen Personen, die in der NS-Zeit unterschiedliche Formen von Widerstand geleistet haben, in den Mittelpunkt – jährlich wechselnd in verschiedenen Regionen. Damit lote zeitgenössische Kunst immer auch neue Handlungsmöglichkeiten für zukünftige Formen des Miteinanders aus, so Tscherteu – hier in Form einer nachhaltig angeregten Erinnerungskultur.

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