Welchen Weg wollen wir gehen?

Wie mit Straßennamen umgehen, die sich auf Personen beziehen, die im Nationalsozialismus involviert waren? Carmen Bayer hat mit Gert Kerschbaumer über eine Debatte gesprochen, die sich im Rahmen von kleineren, symbolischen Akzenten nicht nur auf Salzburg, sondern ganz Österreich bezieht. Große Würfe gibt es nicht. Was haben das kollektive Wegschauen und wir damit zu tun?

Gert Kerschbaumer, Historiker mit Schwerpunkt Nationalsozialismus und Teil des Projektes Stolpersteine, betont, dass es nicht nur darum geht, die Anerkennung der belasteten Personen durch Straßennamen zu unterbinden, sondern auch diejenigen zu ehren und sichtbar zu machen, deren Leben und Leid so viele Jahre lang unbeachtet blieb. Denn gerade darauf komme es an, es müssen Alternativen zu den bestehenden problematischen Straßennamen aufgezeigt werden, betont er im Gespräch. Er war zudem Mitglied des Salzburger Fachbeirats „Erläuterungen zu Straßennamen“, dessen Auftrag es zum einen war, Vorschläge für die Textierung der Erläuterungstafeln zu entwickeln und andererseits, basierend auf der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Biografien NS-belasteter Straßennamensgeber*innen, der Politik Entscheidungshilfen für weiterführende Maßnahmen¹ zur Verfügung zu stellen. Einerseits wurde bereits 2013 beschlossen, dass alle 566 personenbezogenen Straßennamen mit Erläuterungen versehen werden – unabhängig vom Hintergrund der Namensgeber*innen. Von diesen 566 Personen waren 66 „Parteimitglieder, Parteianwärter oder in hohem Ausmaß in das NS-System verstrickt“². Für eine vertiefende Differenzierung erarbeitete die Kommission anhand eines Kriterienkataloges andererseits nun drei Kategorien aus, wobei die Kategorie ‚drei‘ gravierende NS-Verstrickungen der Personen umfasst und die Kommission auf den Bedarf einer vertiefenden politischen Diskussion zum weiteren Umgang mit diesen Straßen verweist. Dies betrifft 13 Straßen, während die anderen beiden Kategorien 53 Straßen umfassen. Abhängig vom Hintergrund der Person lautet hier die Empfehlung, eine Erläuterungstafel vor Ort anzubringen (Kat. 2, 29 Straßen) oder nur einen Hinweis im digitalen Stadtplan sowie in dem vom Stadtarchiv gestalteten Bereich auf der Website der Stadt Salzburg zur NS-Vergangenheit (Kat. 1, 24 Straßen) anzuführen.

Strukturen des Wegschauens

Es liegt nahe zu fragen, wieso diese Straßennamen nach wie vor bestehen und wieso keine breite, davon ausgehende Auseinandersetzung selbstverständlich ist. Gleichzeitig hat die Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur in Österreich erst spät, nämlich in den 1980er Jahren, begonnen und wird häufig den komplexen und fortwirkenden Zusammenhängen nicht gerecht. Sabine Veits-Falk, stellvertretende Leiterin des Stadtarchivs Salzburg, beschreibt in einem Beitrag zum langen Schatten der NS-Vergangenheit die Karriere von Herbert Klein, welcher sich aktuell unter den 66 Biografien der belasteten Straßennamen findet. „Er wurde ‚entnazifiziert‘ und 1951 zum Vorstand der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde und Schriftleiter der Mitteilungen gewählt und blieb dies bis zu seinem Tod 1972.³ In seiner Funktion war er auch Teil des Unterausschusses für Straßenneubenennungen (!) – und nach seinem Tod wurde 1955 ein Weg nach ihm benannt.“⁴ Kleins Geschichte ist ein Beispiel unter vielen, um zu zeigen, dass aus ursprünglichem Wegschauen und Kleinreden Wissenslücken entstanden sind, die erst nach viel Arbeit von Historiker*innen und Interessierten wieder zu Tage treten.

Und jetzt?

Noch immer ist nicht alles aufgearbeitet. Doch gerade jetzt sei es an der Zeit, wieder aktiv zu werden und die problematischen Straßennamen anzugehen. Zumindest für die 13 Straßen, welche die Kommission als problematisch einstuft, gibt es mehr als ausreichend Alternativen. Gert Kerschbaumer führt im Gespräch wiederholt etwa Erika Weinzierl an. Sie hat an der Universität Salzburg wissenschaftliche Beiträge zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus geleistet und stand bis zu ihrem Tod mit ihrem Wirken für eine weltoffene und demokratische Gesellschaft ein. Auch an zivilgesellschaftlicher Expertise und Willen fehle es nicht. Kerschbaumer sieht vor allem Bedarf nach einem politischen Schulterschluss. Gestützt werden könnte der Prozess von Formaten, die Bewohner*innen der Stadt einladen, sich auseinanderzusetzen – mit unterschiedlichen Graden von Involviertheit, dem Übernehmen von Verantwortung ebenso wie mit der eigenen Familien- und Stadtgeschichte.

¹ stadt-salzburg.at/ns-projekt/ns-strassennamen
² tinyurl.com/nsprojektstrassennamen, S.3. (PDF)
³ tinyurl.com/nsprojektstrassennamen2, S.505. (PDF)
tinyurl.com/nsprojektstrassennamen3, S.310 ff. (PDF)

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