Großbaustelle Kultur in Salzburg

Eine Frage der Räume? In der Festspielstadt wird geplant, saniert, umstrukturiert oder gar ganz neu gebaut. Carmen Bayer zum aktuellen Stand und wie es nachhaltiger gehen könnte.

«Der Generalfahrplan Kultur», welcher bereits von Karl Zechenter in der KUPFzeitung #178 besprochen wurde, entwickelt sich nach und nach in Beton gegossene Strukturen. Und die dürfen auch etwas kosten, knapp 500 Millionen sind vorgesehen: Wenngleich gut 70 % des gesamten veranschlagten Geldvolumens in den Ausbau der Salzburger Festspiele investiert werden, gibt es auch ein paar Zuckerl für die Freie Szene. Das dringend benötigte Probenhaus etwa hat bereits vier Wände und ein Dach, der Bezug sollte 2024 beginnen. Auch die Sanierung von Das Kino erfreut. Denn es ist als Film- und Kulturzentrum aus Salzburg seit 1978 nicht mehr wegzudenken. Damit ist die Bescherung für die Freie Szene aber zu Ende. Wie Zechenter, Künstler und Obmann des Dachverbands Salzburger Kulturstätten, bereits vorgerechnet hat, könnte man vom gesamten Budget des Generalfahrplans alle aktuell berufstätigen Kulturarbeiter*innen in Stadt und Land Salzburg über 20 Jahre lang Vollzeit gemäß der höchsten Fair Pay-Stufe beschäftigen. Aber es tut sich zumindest etwas und das ist gut so. Und selbstverständlich will die klassische Salzburg Tourist*in auch künftig mit (hoch-)kulturellen Angeboten umworben werden und in historische Träume und klassische Kultur eintauchen – ist ja auch gut für die Wirtschaftsleistung im Land. Aber das Ungleichgewicht der Verteilung von Geldmitteln und (öffentlichem) Raum hinterlässt einen faden Beigeschmack. So erfüllt sich der Wunsch vom Probenhaus im Abseits, dort, wo kein schöner Radweg hinführt und die Industrie die Oberhand hat. Darüber hinaus sind die Geldgeber*innen, Stadt und Land Salzburg, nicht Eigentümer*innen der neu gebauten Immobilie, sondern lediglich Mieter*innen. Mitbestimmung sieht anders aus. Nachhaltigkeit auch, denn Bodenversiegelung sollte gerade in Österreich vermieden werden und wenn schon gebaut, dann so klimaneutral wie möglich.

Klima und Kultur

Symbolisiert das an den Rand gedrängte Probenhaus die aktuellen Herausforderungen? Das Klima ist außer Rand und Band, Kulturbauten drohen abseits der Hauptsaison zu schönen aber leeren Hüllen zu verkommen. Für mehr Lebendigkeit und mutige Nutzungskonzepte plädiert auch Markus Grüner-Musil, Gemeinderat und Kultursprecher der Bürgerliste / Die GRÜNEN Salzburg im Gespräch. Selbstverständlich hätten Salzburgs Kulturaktive ausreichend Ideen und Projekte in der Hinterhand, um die Stadt auch abseits des touristischen Programms zu beleben und im öffentlichen, konsumfreien (!) Raum sichtbar zu werden, ohne dass hierfür neu gebaut werden muss. Am bestehenden Platz fehlt es nicht, fast jede elfte Wohnung in der Stadt Salzburg wird nicht voll genutzt, berichteten die Salzburger Nachrichten im April. Wenngleich nicht jede leerstehende Wohnung geeignet ist, gäbe es doch ausreichend Potential, wie auch die diesjährige Sommerszene gezeigt hat. Nicht nur wurde die Stadt zur Bühne, Leerstand wurde zum Veranstaltungsort. So kann ein Miteinander gehen, so kann ressourcenschonende Nutzung funktionieren – der enorme bürokratische Aufwand für letztere trübt diese Erfahrung jedoch ein wenig.

Internationale Good Practice-Beispiele

Lesen wir Bühnenbauten auch als Ausdruck des gesellschaftlichen Selbstverständnisses einer Zeit, welche Gebäude möchten wir in Zeiten der Krise dann aufbauen und was sollten diese repräsentieren? Damit befasst sich unter anderem die aktuelle Ausstellung Große Oper – Viel Theater im Architekturhaus Salzburg. Das dort portraitierte Everyman Theatre in Liverpool könnten wir uns hier als Vorbild heranziehen: Für das neue Gebäude musste das ursprüngliche zwar abgerissen werden, doch wirklich verloren ging es dabei nicht. Ganze 98,6 % der Materialien wurden wiederverwertet und finden sich jetzt auf einer Bruttogrundfläche von 4.690 m2 wieder. Darauf befinden sich auch ein Jugendstudio, Räume für Gemeinschaftsaktivitäten, ein Proberaum sowie ein Writers’ Room. Die Räume werden von Anwohner*innen genutzt, was wohl auch am Selbstverständnis des Theaters liegt: «Unsere Mission ist es, die Kraft des Theaters zu nutzen, um positive soziale Veränderungen zu inspirieren, zu unterhalten und zu fördern.»1 Ein anderes Beispiel ist die griechische Nationaloper, denn sie ist in einem großen Kultur- und Bildungszentrum verortet; dass in Griechenland aktuell Menschen zu Flüchtlingen vor den Flammen werden, bietet sich hier an, zu ergänzen. Wie werden sich die Klimakatastrophe und Kunst und Kultur in Griechenland – und global – wechselseitig beeinflussen? Ein aktuelles Beispiel aus Salzburg irritiert: Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen ist eine Störaktion von Aktivist*innen während der Premiere des Theaterstücks Jedermann nicht weiter aufgefallen, da auch im Stück selbst Aktivismus vorkommt. Wurde hier tatsächlicher Aktivismus geschluckt? Wie können Klima- und Verteilungsgerechtigkeiten nachhaltig im Kunstbetrieb verankert werden, ohne zum Spektakel zu verkommen?

Für einen Ort der künstlerischen Schönheit mitten im Trubel

Während der Künstler und Festspiel-Intendant Max Reinhardt in seiner Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn für einen Ort der natürlichen künstlerischen Schönheit2 abseits des alltäglichen Trubels plädierte, könnte die aktuelle Lage nicht genau das Gegenteil erfordern? Eine gemeinsame Auseinandersetzung auf allen Ebenen, von Hochkultur zur Freien Szene, von kunstaffinen Tourist*innen und Einheimischen, von Hochaltrigen bis hin zu Kindern? Es geht nicht darum, ein (im Generalfahrplan Kultur vorgesehenes) Sound Of Music-Zentrum schlechtzureden, sondern um die weitere Entwicklung von Räumen für Kunst und Kultur in Stadt und Land Salzburg. Dabei können wir es uns nicht mehr leisten, die Klimakrise wie auch gesellschaftliche Spannungen und ungleiche Verteilung auszublenden.

1 → everymanplayhouse.com/what-we-do
2 → salzburgerfestspiele.at/blog/denkschrift-zur-errichtung-eines-festspielhauses-in-hellbrunn

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