Egal ob Tabak, Strom oder fossile Energie – ein geschickt platzierter Zweifel hat das Potenzial, die öffentliche Meinung zu spalten. Das Rezept ist einfach. Eine von der Industrie finanzierte Studie, charismatische Befürworter*innen in der Politik, und die Basis für alternative Fakten ist geschaffen. Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen spricht mit Carmen Bayer über Narrative von Klimawandelleugner*innen, die Rolle des Kapitalismus und die Verantwortung von Kunst und Kultur.
Carmen Bayer: „Klimawandel“ bleibt von Fake-News nicht verschont und ist von Mythen rund um natürliche klimatische Veränderungen überladen. Welche Rolle spielt die Industrie?
Hans Holzinger: Zwei Drittel des verfügbaren Erdöls müsste unter der Erde bleiben, um das angepeilte Ziel einer Erhöhung der Durchschnittstemperatur um maximal zwei Grad zu erreichen. Die Automobil- oder Kunststoffindustrie verbindet Klimapolitik daher vor allem mit zusätzlichen Ausgaben, die Ölkonzerne mit dem Verlust ihrer Gewinne. Es liegt nahe, dass sich diese Branchen wehren und versuchen, mit ‹Gegenfakten› den menschengemachten Klimawandel herunterzuspielen. Und das lassen sie sich einiges kosten. Die non-profit Community Influencemap.org hat aufgedeckt, dass die Ölindustrie zuletzt mehrere hundert Millionen Dollar dafür aufgewendet hat, um verharmlosende Fakten zu verbreiten.
Gesellschaften sind mehr und mehr von einem subjektiven Unsicherheitsgefühl – Stichwort Armut, Arbeitslosigkeit, Terror – geprägt. Macht das Individuen empfänglicher für Verharmlosungen?
Klimawandelleugner*innen bieten eine doppelte Entlastung an: Wir schauen darauf, dass ihr eure Gewohnheitsrechte behalten könnt, etwa unbegrenztes Autofahren. Und wir schützen euch vor der ‹wirklichen› Bedrohung: den Fremden. Menschen haben ja eher Angst vor zu vielen Zuwanderer*innen als vor zu viel CO2 in der Luft. Ein größeres Problem ist zudem die Verdrängung. Die Fakten werden zwar zur Kenntnis genommen, das Verhalten wird aber nicht geändert. Dies gilt auch für weite Teile in der Politik.
Zum Aktivismus im Kulturbereich: Trifft man 2019 bei Klimademonstrationen auf Kulturschaffende?
Es gibt erste Solidarisierungen von Künstler*innen mit der Fridays for Future-Bewegung, etwa von Josef Hader. Anders als in der Zeit der großen Friedensbewegung der 1980er Jahre, in der Kunstschaffende eine führende Rolle im Protest gegen das atomare Wettrüsten einnahmen, ist die neue Klimabewegung vor allem eine Jugendbewegung. In der Kunst wird der Klimawandel durchaus thematisiert, etwa bei den Salzburger Festspielen: in Peter Sellars Inszenierung sowie in Bundespräsident Alexander Van der Bellens Ansprache. Das Problem kann sein: Die Festspielbesucher*innen applaudieren zwar, aber das war es dann schon.
Wie schätzt du das Risiko ein, dass der gegenwärtige, junge Aktivismus wie viele andere Hypes schnell wieder abflaut?
Das Vorhaben von Fridays for Future, mit den Protesten erst aufzuhören, wenn die Politik tatsächlich ernsthaft handelt, etwa die Subventionierung der Fossilindustrie beendet und Ökosteuern einführt, ist ambitioniert. Ich bin überrascht, dass die jungen Menschen einen derart langen Atem haben – auch hier in Salzburg. Fridays for Future ist es gelungen, das Problem der Klimaerwärmung auf die öffentliche Agenda zu setzen. Beine machen werden aber der Politik eher die hohen volkswirtschaftlichen Kosten der Klimakrise. Wenn es dann nicht schon zu spät ist.
Welchen Beitrag könnte die Kulturszene leisten?
Die Kultur hat die Aufgabe, zu sensibilisieren. Auf dem Spiel stehen Demokratie und Humanität. Wir müssen die Klimafrage im Kontext des Konsumkapitalismus insgesamt sehen. Es reicht nicht, an ein paar Stellschrauben zu drehen. Wir erleben ja eine Mehrfachkrise: Artensterben, Degradation der Böden, Leerfischung der Meere, Hunger bei den einen, Anhäufung schamlosen Reichtums bei den anderen. Es geht um nicht weniger als die Überwindung unserer imperialen Lebensweise.
Hat die Kultur ihre aufklärerische, rebellische Rolle in der Klimadebatte verschlafen?
Interessanterweise hat hier ein neues Genre – der kritische Dokumentarfilm – die größte Wirkung entfaltet. Hier gibt es u. a. mit We feed the World, Plastic Planet oder Workingman’s Death auch wichtige Beiträge aus Österreich. Und es gibt international Bemühungen von Kunstschaffenden, das Thema Klimawandel in den Fokus zu rücken. 1995 und 2005 fanden unter dem Namen Live Aid große Benefizkonzerte für Afrika statt. Brian May, der Gitarrist der Popgruppe Queen, hat vor kurzem angeregt, ein neues Live Aid-Konzert für Klimaschutzmaßnahmen zu organisieren.
Neben alteingesessenen Musiker*innen wie der EAV oder Hans Söllner sind es vor allem Kabarettist*innen, die sich dem Klima annehmen. Du hast Josef Hader genannt.
Das Kabarett ist eine Kunstrichtung, die zwischen Bewusstseinsbildung ohne Zeigefinger und Druckentlastung durch Humor oszilliert. Mit der Gefahr, dass die Entlastungsfunktion obsiegt.
Aus der Perspektive des Abschiednehmens wagt sich das Open Mind Festival der ARGE Kultur Salzburg an die Thematik. Im Programm heißt es: „Sind die letzten Tage der Menschheit schlussendlich nun doch gekommen?“
Ich halte nichts von apokalyptischen Szenarien, die Prognosen der Klimawissenschaft sind düster genug. Der österreichische Dramatiker Thomas Klöckner, der sich mit der Fridays for Future-Bewegung solidarisierte, meinte einmal pointiert: «Wir können uns leichter das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus».
Apropos Weltuntergangsszenarien: Wie schätzt du die Verbindung von Rechtspopulismus und populärer Kultur in Österreich ein – Beispiel Gabalier? Entwickelt sich quasi im Gegenzug auch eine verstärkt (rechts)populistische Kultur?
Der wirkliche Schwenk in Österreich hat eingesetzt, als dieses Denken in der ehemals politischen Mitte salonfähig geworden und Sebastian Kurz mit seiner neuen Bewegung auf die Angstwelle aufgesprungen ist. Das Problem dabei: Themen, wie eine faire Verteilung, die Begrenzung des Wuchers, die Förderung von Bildung und Kultur oder eine wirksame Umwelt- und Klimapolitik bleiben außen vor.
Man kann und soll der Kunst Engagement nicht vorschreiben und nicht jede Kunst ist fortschrittlich und emanzipativ. Wichtig ist aber, dass sich kritische Künstler*innen öffentlich zu Wort melden und sich einmischen. Politisch geht es um die Frage, wer welche Kulturpolitik betreibt, was gefördert wird und was nicht. Das ist wie in der Wissenschaftspolitik, wo auch entscheidend ist, wie Lehrstühle besetzt werden.
Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltiges Wirtschaften, Zukunft der Arbeit, neue Wohlstandsmodelle. Er ist Moderator von Zukunftswerkstätten, Mitherausgeber des Magazins ProZukunft und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen: Wie wirtschaften? Ein kritisches Glossar (2018), Von nichts zu viel – für alle genug (2016)