Gnackwatsch´n

Das Chaos lieben lernen

Mehrheitsentscheidungen durch Wählen sind Schwachsinn! Aus logischer Sicht. Das musste ich in einer Vorlesung über Sozialwahltheorie an der Uni Wien erkennen. Im Grunde war diese Enttäuschung eine Erleichterung, weil sie den Druck von der Politik nahm, logisch zu sein.

Der Wunsch nach Einfachheit, Einsicht und Verständnis verführt zu einer paradigmatischen Verwechslung, die sich fatal auf unsere Wahrnehmung von Politik auswirkt. Wir untersuchen die Welt mit Mitteln der Logik, das macht die Welt aber nicht logisch. Sie ist und bleibt chaotisch. Während sich die Wissenschaft der Komplexität und Unlösbarkeit vieler Dinge bewusst ist, hält sich das „Logische“ als Sehnsuchtsmotiv im Alltagsdenken. Komplexität wird als Mangel empfunden. Nicht eindeutig lösbar bedeutet: fehlerhaft.

In allen Aspekten des Zusammenlebens erleben wir permanent Enttäuschungen. „Es ist alles so kompliziert“, sagte Bundeskanzler Fred Sinowatz einmal. Wie wahr! Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Denken über Politik und Gesellschaft! Es gibt keine Ordnung, die sich naturgesetzlich ableiten lässt. Wir müssen uns alles erkämpfen und erarbeiten.

Es ergeht also eine Gnackwatschn an alle, die uns mit einfachen Antworten abspeisen wollen. Die vorgeben, Probleme zu lösen, indem sie uns einen Sündenbock zeigen. Die Politmachos und Tausendsassas, die anscheinend auf alles eine Antwort haben und jedes Problem lösen können!

Wir müssen unsere Erwartungen an die Politik ändern, nur so werden wir immun gegen diese unseriösen Angebote der Populisten. Das Chaos, das uns liberale Demokratien bieten, ist das Beste, das wir erreichen können. Wir müssen aufhören, dieses Chaos als Mangel zu verstehen. Wir müssen beginnen, die Vielfalt zu lieben und das Chaos zu umarmen. Wir brauchen Geschichten über diese Vielfalt. Wir brauchen Schulen, die sich weniger auf ordnungspolitische und institutionelle Aspekte konzentrieren und die dynamische Prozesse in den Mittelpunkt stellen. Nicht nur im Sinne von Streitkultur, sondern auch durchaus eine gewisse Ohnmacht anerkennend, kollektive Prozesse befriedigend zu klären. Wir müssen uns von klein auf an das laute Stimmengewirr gewöhnen und es schätzen lernen. Dann wissen wir, dass es erst gefährlich wird, wenn es ruhig wird. Wenn ein gewählter „gemäßigter“ Diktator beginnt, uns zu „harmonisieren“, indem demokratische Rechte und Freiheitsrechte eingeschränkt werden.

Zur Ehrenrettung des Wählens: Wahlen versorgen uns nicht mit einer eindeutigen unmissverständlichen Ordnung von Präferenzen, aber sie können ein wichtiger Beitrag zu Partizipation und Diskurs sein. Wir sollten hingehen.

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