Digitale Gesellschaft im öffentlichen Raum

Im März hat eine ungewöhnliche Kooperation Premiere: LINZ FMR 19 vereint internationale und lokale KünstlerInnen, Kunst- und Kulturinitiativen, öffentliche und private Einrichtungen. Thomas Philipp ist mit der KUPF-Mitgliedsinitiative qujOchÖ Teil der Kooperation und spricht mit Verena Humer über Entscheidungsfindungen, künstlerische und politische Praxis und demokratische Prozesse.

Verena Humer: LINZ FMR lebt von einer Kooperation unterschiedlichster FördergeberInnen und AkteurInnen. Wie werden in so einer diversen Gruppe Entscheidungen getroffen? Wie lange dauerte die Vorbereitung?

Thomas Philipp: Vor eineinhalb Jahren haben wir uns auf die gemeinsame Planung eingelassen. Wer mitmacht, war schnell klar. Kunstuniversität und Atelierhaus Salzamt bedeuten Nähe von einer öffentlichen Einrichtung zur Freien Szene – und umgekehrt. Dazu kommen die STURM UND DRANG GALERIE und servus.at. Insbesondere in der Freien Szene sind wir kollektives Denken und Arbeiten gewohnt. Zumindest formal gibt es keine Hierarchien. Das zeigte sich zum Beispiel im Kuratierungsprozess: Die verschiedenen Initiativen beschäftigten sich mit über hundert KünstlerInnen, näherten sich über ein Voting-System an und diskutierten. Auch wenn sich die Notwendigkeit eines Leitungsteams herauskristallisierte, sind alle an Öffentlichkeitsarbeit, Druck, Produktion, Sponsoring usw. beteiligt.

Zum Titel FMR: Kann dieser auch als „ephemer“ im Sinne von „ohne bleibender Bedeutung, von kurzer Zeit“ gelesen werden? Ich denke dabei auch daran, dass Staatenbünde oder Versprechen von PolitikerInnen immer weniger Bedeutung haben, von kurzer Dauer sind.

Auf das politische Feld rekurrieren wir weniger, es ist in erster Linie ein Kunstformat. Lange hieß es „Format ohne Namen“. Das Ephemere passt perfekt zu unserer Intention, für Arbeiten, die meist in geschlossenen Räumlichkeiten gezeigt werden, den öffentlichen, den offenen Raum zu nutzen. Diese neuen Ansätze in der Medien- und Internetkunst sind oft vergänglich, nicht greifbar, gerade wenn es um Postinternet Art, New Digital Art usw. geht. In der Kunst gibt es zwar eine lange Tradition des Ephemeren, es ist aber kein Sonderbereich des künstlerischen Diskurses. Zunehmend wird es in anderen Bereichen sichtbar – im Politischen, im Gesellschaftlichen.

Wie kann man sich in diesem Sinne eure Ausstellung vorstellen?

Das Ephemere ist entweder direkt sichtbar oder es ist in die Arbeit eingeflossen. Ein konkretes Beispiel: Thomas Kluckner referenziert auf Erwin Reiters Arbeit „Strömung“, die beim Kunstmuseum Lentos positioniert ist. In einem laufenden Prozess verändert sich ständig etwas, trotzdem ist seine Arbeit – bzw. ein Moment davon – sichtbar und ändert sich nicht. Man wird im konkreten öffentlichen Raum mit Brüchen konfrontiert, die etwas Besonderes ergeben. Vier Tage lang kann man die Arbeiten sehen, dann sind sie weg. Dokumentiert wird in verschiedenen digitalen Universen, u. a. auf reddit, auf einer chinesischen Facebook-Variante und in Massive Multiplayer Online Games. Eine greifbare Form, wie einen Katalog, wird es nicht geben.

Euer Projekt wird u. a. von der Stadt Linz als UNESCO City of Media Arts gefördert – wie wird das von den internationalen KünstlerInnen wahrgenommen?

Für die KünstlerInnen bei LINZ FMR 19 hat UNESCO City of Media Arts keine große Bedeutung, würde ich mich sagen trauen. Für LINZ FMR 19 selbst aber durchaus, weil eine UNESCO City of Media Arts genau solche Formate braucht. In der Freien Szene arbeiten genügend Initiativen im Bereich der Media Arts, sei es servus.at, die Stadtwerkstatt, Time’s Up, bb15, Kunstraum Goethestraße xtd, memphis und und und. Wichtig und interessant ist der Titel UNESCO City of Media Arts natürlich auch für die Vernetzung mit anderen Städten und für den Tourismus. Wenn KünstlerInnen Linz hören, dann ist meist die Ars Electronica bekannt. Die hat auf alle Fälle Relevanz, gerade wenn es um Medienkunst geht.

In eurem Pressetext erwähnt ihr den Surrealisten Louis Aragon und seinen Spaziergang durch Paris 1920. Was würde er – in Hinblick auf Gelbwesten und Macron – sagen, wenn er heute durch Paris gehen würde?

Er würde es als wunderschönes künstlerisches Spektakel einordnen, aber auch die politische Kraft darin sehen. Er würde sich wundern, dass die Verschränkung zwischen dem künstlerischen Bereich und dem Politischen nicht größer ist. Auch ich wünsche mir oft andere, lustvolle Protestformen. Bei der Gegen-Schwarz-Blau-Bewegung 1999/2000 entwickelten Kunst- und Politszene in Linz eigene Protestformen, die zur gesamten Bewegung beitrugen. Aragon würde sich wünschen, dass es andere Formen zumindest gibt.

Ist es ein Problem der heutigen digitalisierten Gesellschaft, dass Protest in Form von Online-Petitionen und nicht mehr auf der Straße passiert?

Es ist paradox! Einerseits gibt es Protestformen in den sozialen Medien, über die, zumindest in Österreich, gegen den Rechtsruck agiert wird und die ich trotz Hasspostings und Überwachung nicht missen möchte. Andererseits habe ich die Sehnsucht nach einer konkreten Aktion, die nicht im digitalen Raum stattfindet. Bei einer Donnerstags-Demonstration geht es auch darum, eine Stimmung, ein politisches Gefühl nach innen zu erzeugen. Natürlich unterstützt ein nettes Posting emotional, aber ein Emoji, Like oder Dislike sind halt nur flüchtige, ephemere Flackerungen.

Entstehen heute – im Vergleich zu früheren Protesten von Studierenden oder dem Bildungsbürgertum – vermehrt ungewöhnliche Kooperationen, um gemeinsam für einen Zweck zu demonstrieren?

Ja, es geht über den Bildungs-, Kultur- oder Sozialbereich hinaus um das größere Gemeinsame. Ein pragmatischer Grund ist, dass man gar nicht mehr weiß, wie man alle erforderlichen Demonstrationen unter einen Hut bringen kann. Diese Vernetzungen sind notwendig für eventuell noch größere Demonstrationen, die es benötigen wird, wenn weiter Angriffe auf Menschenrechte und eine Demontage von Grundrechten der Demokratie passieren.

Ein Grundrecht der Demokratie ist das Recht, wählen zu gehen. Gehst du zu den Europawahlen Ende Mai?

Ich gehe zu jeder Wahl. Das ist eher eine politisch-philosophische Frage. Solange die Grundparameter einer Demokratie funktionieren, kann man lange diskutieren, ob es zusätzliche demokratische Mechanismen braucht. Unabhängig davon: Jede Stimme zählt. Die EU-Wahl ist spannend wie nie: die Zunahme von populistischen und nationalistischen EU-GegnerInnen auf der einen, die EU-BefürworterInnen auf der anderen Seite. Jene Stimmen, die kritisieren, dass die EU ein großteils neoliberales Wirtschaftsprojekt ist, in dem Sozial-, Kultur- oder Bildungspolitik bislang keine große Rolle gespielt haben, hört man kaum, weil sie übertüncht werden. Es ist notwendiger denn je, an den Wahlen teilzunehmen.

 

LINZ FMR 19 startet 2019 als biennales Format. Von 27. bis 30. März gibt es eine Ausstellung an der Donaulände in Linz mit Arbeiten von Suzanne Treister (UK), Clement Valla (USA), Karl Philips (BEL), Bernhard Garnicnig (AUT) & Jamie Allen (CAN), Tomáš Moravec (CZE) & Matej Al-Ali (SLO), Thomas Kluckner (AUT), Filippo Minelli (ITA), Isabella Auer (AUT), Hybris (GER), Susanna Flock & Leonhard Müllner (AUT), The Cool Couple (ITA) und Karin Ferrari (ITA) sowie ein Rahmenprogramm mit Führungen, Vorträgen, Konzerten und Gesprächen.

Kuratiert und organisiert wird LINZ FMR 19 von den Linzer Kunst- und Kulturinitiativen qujOchÖ und servus.at, dem Atelierhaus Salzamt, der Abteilung Kulturwissenschaft der Kunstuniversität Linz und der STURM UND DRANG GALERIE. Unterstützt wird das Format von der Stadt Linz, dem Land Oberösterreich und dem Bund sowie zahlreichen SponsorInnen.

Das Ephemere ist eigentlich ein physikalisches Phänomen. Es hat zwei Bedeutungen, das Flüchtige, Vergängliche, aber auch das nicht Greifbare. Wenn man genau hinsieht, wird es sichtbar und vielleicht auch greifbar, so Thomas Philipp.

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