Über Sicherheitsbedürfnisse und Kulturbegriffe

Entertainement oder nachhaltige Prozesse? Vieles ist noch offen, viel zu befürchten und viel zu hoffen, mein Harald Schmutzhard

 

Ein erster Versuch zur Problematik: Ende des letzten Jahrhunderts hat sich mit New Genre Public Art (NGPA) eine spezifische Kunstpraxis entwickelt, die immer mehr Einfluss auf zeitgenössisches Kunstschaffen und Kulturproduktionen gewinnt. Im Zentrum steht die Arbeit an sozialen Prozessen und die Schaffung von Öffentlichkeit für soziopolitisch relevante Themen und Konflikte. Die Distanz zwischen KünstlerInnen und Gesellschaft wird verringert, das Umfeld in die Produktion eingebunden, die Frage der Repräsentation hat zentralen Stellenwert.

Unter dem Slogan »Let´s make art matter« wird das bürgerliche Kunstverständnis überwunden und globale bzw. europäische Herausforderungen wie Migration, Segregation, Teilhabe von Randgruppen, Kluft Arm Reich, Genderproblematik u.a. thematisiert. Diese neuen prozessorientierten Kunstpraxen binden ihr Publikum bereits in der Konzeptphase und im Projektaufbau und –ablauf aktiv ein und erarbeiten sich damit ihre eigenen Öffentlichkeiten. Das Endergebnis tritt in seiner Wertigkeit deutlich hinter der des Produktionsprozesses zurück. Einerseits verlangt dies Mut von den FördergeberInnen und KünstlerInnen, da prozessorientierte Arbeitsweisen im Vorhinein keine Endergebnisse garantieren können, andererseits wird die Crux der traditionellen Kulturvermittlung überwunden – wie interessiere ich die Zielgruppe für die vorhandenen Inhalte. KulturproduzentInnen die über das bloße Entertainment hinaus Veränderungsprozesse 1 bewirken wollen, erhalten mit den Methoden und Praxen der NGPA wichtige Tools, um kulturferne Bevölkerungsschichten anzusprechen und die Kunst aus ihrem Elfenbeintempel zu holen. Internationale Produktionen wie auch regionale ProduzentInnen, wie bspw. Das Festival der Regionen oder Initiativen der Freien Szene Linz, stellen sich den oben geschilderten Herausforderungen. Wie begegnet Linz09 diesen Herausforderungen?

Ein zweiter Versuch zur gleichen Problematik: Unter Einbeziehung der Linzer Kulturlandschaft wurde ein Kulturentwicklungsplan erstellt, der für Linz eine sehr spezifische und individuelle Profilierung erarbeitete.

Obwohl der KEP in vielen Punkten seiner Umsetzung harrt, stellt er sich doch in produktiver Weise der Problematik, dass Linz in einigen Bereichen einer bürgerlichen Kulturstadt nicht entspricht 2. Abseits eines traditionellen Kulturprofils wurden die lokalen Stärken definiert und Schwerpunkte formuliert, die geeignet sind, Kultur und Alltag näher zusammen zu bringen – sei es durch die Fokussierung auf »Offenen Räume«, »Neue Medien« oder die »Freie Autonome Kulturproduktion«. Ein einmaliges Großereignis wie Linz09 kann diese Profilierung verstärken und Linz zu einem europaweit unverwechselbaren Kulturort weiterentwickeln – oder versucht sein, die durch diese Schwerpunktsetzung bewusst in Kauf genommenen Lücken zu füllen – um den Anforderungen an eine mittelständige durchschnittliche Kulturstadt zu genügen.

Sicherheit oder Dynamik Das erste Programmhandbuch von Linz 09 ermöglicht erstmals eine Evaluation, in welche Richtung sich Linz entwickeln wird. Sicherheitsbedürfnis und traditionelles Kulturverständnis lassen sich an einigen Indizien festmachen:

• 50% des Programms sind bekannte Formate von etablierten Linzer Kulturinstitutionen • 25% des Programms sind Eigenproduktionen von Linz09 • die künstlerische Leitung besteht zu 100% aus Männern 3 • die künstlerische Leitung umfasst Kuratorinnen für Musik und darstellende Kunst – nicht aber für Neue Medien oder interkulturelle Projekte oder Genderproblematik

Andererseits sind viele Projekte so offen formuliert, dass sich vielfältige Möglichkeiten bieten: • Einbinden unterschiedlichster Öffentlichkeiten in die Produktionsprozesse • Nutzen des »öffentlichen Raums« im Sinne unterschiedlicher Formate, vielfältiger Kommunikationsorte und Kommunikationsformen, die es unterschiedlichsten sozialen Gruppen ermöglichen, sich nicht nur als Zuschauer einzubringen

Für das Kommunizieren und Interagieren mit kunstfernen Zielgruppen muss aber das Sicherheitsbedürfnis sowohl von KuratorInnen wie auch von KünstlerInnen über Bord geworfen werden – andere Evaluationskriterien und ein auf den Prozess abgestimmter Qualitätsbegriff herangezogen werden. Es bedarf vielen Mutes um die klassischen Role-Models von Publikum vs. KünstlerInnen aufzubrechen4. Wohin bewegt sich Linz 09? Wie viel Mut ist vorhanden, wie viel Bedürfnis nach Sicherheit? Entertainment oder nachhaltige Prozesse? Vieles ist noch offen – viel zu befürchten – viel zu hoffen …

Harald Schmutzhard ist Gründungsmitglied vonSocial Impact.

1) um nicht das Unwort »Nachhaltigkeit« zu gebrauchen 2) fehlende Theatertradition – fehlender Kunstmarkt 3) Martin Heller, Ulrich Fuchs, Peter Androsch, Airan Berg, siehe www.linz09.at 4) Böse Zungen könnten das klassische Kommunikationsmodell als kolonialistisch bezeichnen – hier aktiver Künstler, der definiert, was wichtig/richtig/ bedeutend ist – dort passives Publikum, das ohne Teilhabe am Produktionsprozess konsumieren darf.

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