Kann und will Linz09 von documenta12 profitieren?

Fragen Renate Dobler und Tania Araujo von maiz.

 

Im Jahr 2001 wurde vom Forum Interkulturalität, KUPF und maiz ein Positionspapier bezüglich der Rolle der MigrantInnen in der Kulturlandschaft in Österreich erstellt.

In diesem Papier wurde festgestellt, dass sich MigrantInnen in der österreichischen Gesellschaft mit zwei Maximen konfrontiert sehen: der Anpassung einerseits und der Prädestinierung, den Stereotypen zu entsprechen, andererseits. Zwei Maximen, die auf den ersten Blick als widersprüchlich gesehen werden könnten, die jedoch in der Logik der Dominanzkultur eine ergänzende Funktion besitzen und den Zusammenhang zwischen Rassismus und Exotismus beispielhaft darstellen. Eine Haltung, die von Abhängigkeit gekennzeichnet ist, und die dem Zweck des Auflösens der Differenzen dient. Die Hauptforderung war die nach einer demokratischen Kulturpolitik, die Minderheiten in ihrer Vielfalt wahrnimmt, anerkennt und die Entfaltung kultureller und künstlerischer Initiativen von MigrantInnen gleichberechtigt fördert.

Partizipation! Nun, 6 Jahre später, zeigt sich, dass die Forderung nach demokratischen und partizipativen Rahmenbedingungen seither noch an Relevanz und Dringlichkeit gewonnen hat, da die Defizite und Versäumnisse in Hinsicht auf die gleichberechtigte Förderung von kulturellen und künstlerischen Initiativen von Minderheiten strukturell behindert wird. Um der strukturellen und gesellschaftlich inhärenten Benachteiligung entgegenzuwirken, ist nicht nur eine gleichberechtigte Förderung nötig, sondern auch eine kulturpolitische und förderpolitische Bevorzugung von kultureller Betätigung von Minderheiten. In der Gesamtarchitektur Linz09 steht nachzulesen, dass „das Programm Dimensionen und Themen der europäischen Kulturentwicklung aufgreifen soll, um den Linzer Horizont zu bereichern und dass das Programm in einem nach allen Seiten hin offenen Prozess entstehen muss“. Um eine umfassende europäische Kulturentwicklung zu gewährleisten, muss es Initiativen zur Kulturvermittlung geben, die einen niederschwelligen aktiven und passiven Zugang zu Kunst und Kultur und eine lebendige und gleichberechtigte Interaktion bzw. Partizipation überhaupt erst möglich machen.

Linzer Horizont Die documenta12 versucht diese allgemeine Teilhabe heuer erstmals mit der Schaffung eines unabhängigen Beirats, und im Rahmen der Kulturvermittlung gibt es Arbeitsgruppen für die aktive Einbindung bestimmter Zielgruppen, wie etwa der Erwerbslosen (wöchentliche Salon de Refusés zur Krise der Erwerbsgesellschaft). Sozialräumliche Konstellationen werden in der Bildungsinsel, die einen Ort für die Auseinandersetzung mit den Themen Bildung, Migration und Ausgrenzung bietet, versucht zu erweitern. Wie erfolgreich sind diese Bemühungen? Welche sind Best Practice? Wie lassen sich Probleme vielleicht schon im Vorfeld limitieren? Was sind die Mängel im System? Können diese spannenden Partizipationsansätze so umgesetzt werden, dass daraus nachhaltige Partizipation entsteht? Wo ist das klare Bekenntnis gegen Rassismus und Diskriminierung und damit das Auftreten gegen Integrations-Politiken sowie den herrschenden rassistischen Konsens innerhalb dieser Gesellschaft? Was ist mit StellvertreterInnen-Kulturpolitik durch die Mehrheitsangehörigen? Um den Linzer Horizont aktiv zu erweitern, ist Linz in der Lage, von den Erfahrungen (und eventuellen Fehlern!) der documenta12 lernen zu können und daraus zu profitieren! Die Stellungnahmen von Linz 2009 hinsichtlich „Kultur für alle und von allen“, indem Kunst und Kultur demokratisiert wird und Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden, müssen mehr als nur ein Lippenbekenntnis sein, sie müssen Taten nach sich ziehen.

Die Sprecherin des documenta12-Beirats Ayşe Güleç und die documenta12-Kulturvermittlerin, Prof.in Carmen Mörsch werden auf Initiative von maiz und KUPF im Oktober nach Linz kommen, um öffentlich über das Kulturvermittlungskonzept und die Realisierung des gleichberechtigten Zugangs zu Produktion und Konsum von Kunst und Kultur im Hinblick auf Linz 2009 zu diskutieren und ihre Erfahrungen hierfür zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne kann migrantische Kulturarbeit bezüglich Linz09 „nicht nur als bloße Vermittlungsform der Anliegen und Forderungen von MigrantInnen, sondern zugleich als eine Strategie gesellschaftlicher Teilnahme und Subjektwerdung verstanden werden, wie sie sich in der Selbstorganisierung und Selbstvertretung der Betroffenen, in ihrem Selbstverständnis als Definierende/n statt Definiertem – also in der Einforderung einer gesellschaftlichen SprecherInnen-Position und den damit verbundenen adressierten Öffentlichkeiten – manifestiert,“ Patulova Radostina.

Renate Dobler und Tania Araujo sind Mitarbeiterinnen bei maiz.

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