„Was ist, wenn Migrantinnen keine Kultur machen wollen, sondern Politik?“

Subjektive und fragmentarische Eindrücke von der Diskussionsveranstaltung: Kunst-/ Kulturvermittlung und Partizipation: Ein Blick auf documenta 12 im Hinblick auf Linz 09. Gesammelt von Aileen Derieg.

Freitag, 19. Oktober 2007, 18.00 Uhr, Kunst-Raum Goethestrasse, Goethestrasse 22, 4020 Linz, Gemeinsam luden MAIZ, KUPF und Migrazine zu einer Diskussion zum Thema: „Kunst-/ Kulturvermittlung und Partizipation: Ein Blick auf documenta 12 im Hinblick auf Linz 09“. Die zwei Vortragende Carmen Mörsch und Ayse Gülec erzählten sehr offen von ihren Erfahrungen mit dem Vermittlungsprogramm und dem Beirat in Kassel, von den Schwierigkeiten (z.B. das Nichtvorhandensein jeglicher Finanzierung) und den oft komplizierten Auseinandersetzungen mit widersprüchlichen Interessen und Anliegen, vermittelten jedoch den Eindruck, dass die Mühe sich lohne. Als es aber darum ging, welche Anwendungsmöglichkeiten oder Chancen in diesen Modellen für Linz in Hinblick auf Linz 09 gefunden werden könnten, wurde die Diskussion eher diffus. Obwohl das Thema doch deutlich vorgegeben war, kamen (fast ausschließlich weibliche) Menschen mit sehr unterschiedlichen Fragen und Erwartungen. So waren klare Antworten natürlich nicht möglich, obwohl sehr unterschiedliche Anliegen zum Ausdruck gebracht wurden.

Keine Fragen und schon gar keine Antworten kamen dabei von der Linz 09-Leitung. Im Anschluss an die Ausführungen von Carmen Mörsch zu Vermittlungsentwicklungen bei Documenta 12 schilderten Diskussionsteilnehmerinnen im Publikum z.B., wie ein Vermittlungskonzept als „Projekt“ bei Linz 09 eingereicht wurde, auch wenn es den Projektentwicklerinnen sehr wohl bewusst war, dass die Vorstellung, „Vermittlung“ als „Projekt“ durchführen zu wollen, keineswegs unproblematisch sei. Dieses Projekt wurde jedenfalls von Linz 09 nicht berücksichtigt, und es schien bei der Diskussion weitgehend unbekannt zu sein, wie – wenn überhaupt – das Thema Vermittlung bei Linz 09 angedacht wird. Unter den Diskussionsteilnehmerinnen fanden sich viele mit weitreichender und jahrelanger Erfahrung im Bereich der Partizipation in Kunst und Kultur. Um so bedauerlicher war das scheinbare Desinteresse seitens der Linz09-Leitung an einem Austausch. Als die Frage auftauchte, ob überhaupt noch jemand im Raum für Linz09 sprechen könnte, meldete sich eine Frau sichtlich widerwillig aber doch mutig und engagiert zu Wort und identifizierte sich als Zuständige für Linz09-Projektentwicklung u.a. im Bereich Migration. Für sie sind MAIZ wohl die wichtigsten Gesprächspartnerinnen, doch obwohl – oder vielleicht gerade weil – diese Gespräche nie reibungslos und friedlich ablaufen, wurde schnell spürbar, dass dieser Frau wiederum viel Vertrauen und Hochachtung von MAIZ entgegengebracht wird. Doch innerhalb einer Struktur, die auf »Projekte« setzt (d.h. abgegrenzte Handlungen mit Anfang, Ende und klar definierten Zielsetzungen), die beliebig nebeneinander ablaufen können (»…Kommunikation, Kulinarik, Literatur, Medien, Musik, Öffentlicher Raum, Natur und Ökologie, Region, Religionen, Soziales und Migration, Sport, Stadtteile, Tourismus …«: http://www.linz09.at/de/gesamtarchitektur.html), sind die Handlungsmöglichkeiten sehr begrenzt.

Schließlich bleibt die Frage offen, wo und wie Allianzen möglich sein können, wenn die Strukturen, die sich explizit als „offen“ verstehen, in Wirklichkeit nur bestimmte vorgegebene Formen der Partizipation zulassen. Wie eine andere Diskussionsteilnehmerin treffend formulierte, „partizipieren“ heißt „mitmachen“, und „mitmachen“ ist nicht dasselbe wie »machen«, und was ist, wenn Migrantinnen keine Kultur machen wollen, sondern Politik, zum Beispiel? Diese Frage könnte eine Antwort darauf sein, dass eine gewisse Ratlosigkeit scheinbar bei Linz09 entstanden ist, weil der Projekteinreichungsprozess möglichst frei und offen gemeint ist und sich durchaus als ausdrückliche Einladung an migrantische Gruppierungen, sich einzubringen, versteht – aber eben diese Gruppierungen nehmen die Einladung kaum wahr.

Carmen Mörsch und Ayse Gülec haben die Zusammenfindung und Auseinandersetzungen in ihren jeweiligen Zusammenhängen in Kassel nicht als einfach und klar beschrieben. Auch sind sie mit dem Abbau der Ausstellungen nicht abgeschlossen und abgehakt. Ob das Kulturhauptstadtjahr 2009 auch zulassen kann, dass manches geschieht, das eben nicht abgeschlossen, ordentlich und planbar ist, wird sich erst zeigen. Dass es mit oder ohne Linz09 geschieht, bleibt zu hoffen.

Aileen Derieg lebt seit 1985 in Linz und arbeitet als Uebersetzerin mit Schwerpunkt Zeitgenoessische Kunst und Neue Medien: http://eliot.at

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