Sicher

Die Gnackwatsch’n, die Gewaltkolumne. Seit zwanzig Jahren das Instrument der KUPFzeitung, um auch einmal austeilen zu können. Gut, oder? Ich bin mir da nicht so sicher.

Im Jahr 2021 ist Gewalt allgegenwärtig. In Myanmar erschossen Soldaten der Militärjunta seit Anfang Februar fast 800 Demonstrant*innen, die für die Demokratie auf die Straße gingen. Im Nahen Osten töteten Raketen, die auf Wohnsiedlungen gefeuert wurden, Menschen aus Israel und Gaza. In Österreich ermordeten seit Beginn des Jahres mindestens elf Männer ihre (ehemaligen) Partnerinnen.

Ich kann heute keine ‹Gewaltkolumne› veröffentlichen, ohne die aktuellen Entwicklungen – von denen die oben skizzierten freilich nur einen Ausschnitt darstellen – zu berücksichtigen. Ich, wir männlich Sozialisierten und wir alle müssen die Protagonisten der Gewalt benennen – ja, hier fehlt der Asterisk bewusst: Es sind die Männer, die im Militär, in der Politik, in Beziehungen und anderen Gesellschaftsbereichen die Verantwortung für die Gewalttaten tragen. Und wir müssen über die Quellen der männlichen Gewalt sprechen: über den Drang, mit anderen (Männern) in Konkurrenz zu treten und sie zu übertrumpfen; über festgefahrene Meinungen, die Konfrontation mit vermeintlichen Gegner*innen befeuern; über die Unfähigkeit, Gefühle wie Enttäuschung, Angst und Trauer zuzulassen; und über die Sprachlosigkeit, wenn es um diese Gefühle und andere Unsicherheiten geht. Anders gesagt: Wir müssen über toxische Männlichkeit in einer patriarchalen Gesellschaft sprechen.

Eine zeitgemäße ‹Gewaltkolumne› sollte keine Watsch’n austeilen. Sie sollte vielmehr die Ursachen und Ausprägungen von Gewalt analysieren und mögliche Wege aus der Gewalt aufzeigen. Dazu muss sie genau die Fallstricke toxischer Männlichkeit hinter sich lassen: Wer analysiert, muss mit anderen zusammenarbeiten, muss kommunizieren, Probleme ansprechen, Unsicherheiten zulassen. Um Phänomene wie Gewalt zu verstehen, braucht es also zuerst einmal das Zweifeln. Und wer zweifelt, neigt weniger zu Gewalt. Gut, oder? Da bin ich mir relativ sicher.

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