Lyrik im 21. Jahrhundert

or maybe how you find it funny that i hate to swim, but you seem to have forgotten the bodies of my fathers and mothers and brothers, as they lay buried under the blue of the oceans

Wie zeitgemäße Themen über die lyrische Form verhandelt werden können, ohne kitschig oder antiquiert zu wirken, zeigt die nigerianisch-österreichische Autorin Precious Chiebonam Nnebedum in ihrem Lyrikdebüt birthmarks. Es sind Texte über die afrikanische Diaspora, Kolonialismus, ein Leben zwischen Guavenbaum und Anders-Sein, über das Sprechen, Denken, Sich-selbst-finden. Texte zwischen den Sprachen, über Wut, Einsamkeit, Familie, Liebe, Respekt. Lyrik, die man laut lesen möchte, weil die Rhythmik so kickt, die Binnenreime Spaß machen. Die Kombination aus den harten Inhalten und der harmonischen Sprache entfacht eine Sogwirkung. Die parallel dazu abgedruckte Übersetzung ins Deutsche ist ambitioniert, lässt aber die sprachliche Sprengkraft des Originals vermissen. “you have since learned the power of negation within fences of segregation” wirkt in der Übersetzung gestelzt und “i like to sugar coat my words to make them fit me better” ist eben etwas anderes als „ich mag es, meine worte mit einer zuckerglasur zu überziehen, damit sie mir besser gefallen“. Der Lyrikband lädt dazu ein, Worte und ihre je nach Sprache unterschiedliche Wirkkraft zu vergleichen. Nnebedum begann ihre literarische Karriere mit 17 als Poetry-Slammerin, ist zweifache U20 Vizemeisterin und wurde 2020 mit dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnet. Jetzt hat sie mit birthmarks ein starkes erstes Buch vorgelegt, von dem ich mir wünsche, es würde sofort in die Englisch-Leselisten unserer Schulen aufgenommen werden: Es könnte Teenager*innen so viel Wichtiges über Race, Class und Gender beibringen. birthmarks ist außerdem ein weiterer Beleg für den Transformationsprozess, den der Innsbrucker Haymon-Verlag dieses Jahr mit seiner neuen Verlagsleitung hingelegt hat. Der Fokus liegt nun darauf, im Literaturbetrieb marginalisierten Stimmen und Themen eine Plattform zu bieten. Außerdem wird mit Triggerwarnungen und Sensitivity Readings gearbeitet und so ein wichtiger Beitrag zu einem inklusiveren Buchmarkt geleistet. Allein das vorliegende Buch zeigt: Diese Neuausrichtung lohnt sich sehr. 

Precious Chiebonam Nnebedum, birthmarks. Gedichte. Englisch. Deutsch. Übersetzt von Lisa-Marie Höber, Eva Lapan, Precious Chiebonam Nnebedum, Fabienne Schantl und Daniel Schweiger, Haymon 2022, erscheint am 11. Oktober, 240 Seiten.

https://www.haymonverlag.at/produkt/8162/birthmarks/

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