Sündenbock Influencer*in

Bernhard Frena hat recherchiert wie Content Creator*innen Geld verdienen und argumentiert, warum Kulturarbeit in den sozialen Medien fair bezahlt werden muss. 

Die Arbeit von Content Creator*innen

Internet-Plattformen sind längst Schauplatz von Kulturarbeit. Wir alle lesen humorige Kommentare auf Twitter, schauen Dokus auf YouTube, scrollen durch Fotostrecken auf Instagram, durchstöbern Comics auf Tapas. „Plattform“ ist dabei programmatisch: TikTok, Facebook und Co. verstehen sich als reine Bereitsteller*innen von Infrastruktur. In den Köpfen ihrer Chefetagen erlauben sie lediglich, Inhalte zu posten. Was diese Inhalte sind, wie sie produziert werden und wie deren Produzent*innen sich ihr Leben finanzieren, sei nicht ihr Problem. Dabei sorgt die Arbeit dieser „Content Creator*innen“ überhaupt erst dafür, dass Nutzer*innen die Webseiten besuchen. Die Content Creator*innen schneiden Videos, bearbeiten Fotos, mischen Ton ab, moderieren Kommentare, bauen Studios, designen Kulissen, schreiben Skripte, zeichnen Kunstwerke, organisieren Veranstaltungen. Die Plattformen zahlen für diese Arbeit in der Regel nichts. Die Produktion passiert auf eigene Kosten, in der Hoffnung, dass über verschiedene Kanäle Geld schlussendlich zurückläuft.

Alle Macht der Plattform

Mittlerweile ermöglichen die meisten Plattformen, Inhalte zu monetarisieren. Video-Altgestein YouTube ist großzügig und behält nur knapp die Hälfte der Werbeeinnahmen von monetarisierten Videos. Andere sind da noch knauseriger. So verteilt die Kurz-Video-Plattform TikTok einen fixen „Creator Fund“ unter ausgesuchten Kanälen – ohne Koppelung an die rapide steigenden Werbeeinnahmen der Plattform. Österreicher*innen fallen bislang gänzlich leer aus. Zuletzt beteiligen Plattformen wie der Live-Streaming-Dienst Twitch Produzent*innen an bezahlten Abonnements. Ganze 70 Prozent der Aboverkäufe gehen derzeit an die Kanal-Betreiber*innen, gerüchteweise schrumpft dies bald auf 50 Prozent. Fast völlig fehlen jedoch Anstellungsverhältnisse oder direkte Bezahlung für Inhalte. Plattformen gehen davon aus, dass Inhalte für sie gratis produziert werden und naschen danach fleißig bei Monetarisierungen mit. Das macht diese Einnahmequelle für Produzent*innen höchst unzuverlässig und risikoreich. Alle Macht liegt bei den Plattformen. Sie können Beiträge nicht weiterempfehlen, sie nicht länger monetarisieren oder Nutzer*innen einfach von der Plattform ausschließen. Gerade kleinere Produzent*innen und ohnehin schon marginalisierte Menschen haben zumeist keine Möglichkeit dagegen vorzugehen.

The Fans Pay statt Fair Pay

Um die mangelhaften Plattform-Einnahmen auszugleichen, versuchen viele Produzent*innen sich direkt über ihr Publikum zu finanzieren. Via Plattformen wie Patreon ist es möglich, Produzent*innen einen variablen monatlichen Betrag für Inhalte zu zahlen, die diese primär auf anderen Plattformen veröffentlichen. Von dem Geld behält Patreon wieder zwischen 5 und 12 Prozent. Andere Möglichkeiten sind Verkauf von Merchandise, bezahlte Treffen, Veranstaltungen oder gar Gruppenreisen. All diese Einnahmen sind abhängig davon, wie eng die Produzent*innen ihre Fans an sich binden können. Bei diesen „parasozialen Beziehungen“ kennen die Produzent*innen einzelne Fans kaum oder meist gar nicht, während die Fans das Gefühl haben, eine freundschaftliche Beziehung zu unterhalten. Dies wird zusehends kritisch beurteilt, sowohl als Form der Ausbeutung als auch weil es in Extremfällen bis zum Stalking führen kann. 

Grenzenloses Marketing

Für viele Content Creator*innen werden folglich die Marketingbudgets diverser Firmen zum größten Finanzierungs-Standbein. Längst haben diese nämlich entdeckt, wie effektiv Werbung über Content Creator*innen ist. Deshalb sponsoren sie Twitch-Streamer*innen, finanzieren für Instagram-Reise-Accounts Aufenthalte in Dubai, oder zahlen Spotify-Podcasts Geld, um Werbung einzusprechen. Da greifen wieder parasoziale Beziehungen, denn Nutzer*innen vertrauen Content Creator*innen. Werbung wird in den Köpfen zu einer Empfehlung von Freund*innen. Je enger die parasoziale Beziehung, je größer der Einfluss – je erfolgreicher der*die Influencer*in. Die Taschen der Abteilungen sind tief und ihre Anzahl nicht enden wollend. Oft setzt nur die eigene moralische Verantwortung Grenzen – oder eben nicht. Doch der Grund, warum es Influencer*innen überhaupt gibt, warum Content Creator*innen ihren Einfluss an Marketingabteilungen verkaufen, ist, dass diese oft die einzigen sind, die zuverlässig, transparent und vertraglich versichert Geld zahlen. Influencer*innen sind dabei die Sündenböcke, denen als Einzelpersonen die Sünden einer ganzen Branche, die Mängel an Bezahl- und Anstellungsstrukturen, Finanzierungsunsicherheiten und Regulierungslücken auf den Rücken gepackt werden, anstatt über systemische, politische und gesellschaftliche Lösungen nachzudenken.

Systemwandel

Aktuelle Alternativen sind rar. Nebula zum Beispiel – eine Video-Streaming Plattform, die ihre Produzent*innen direkt am Gewinn beteiligt. Oder das Netzwerk  funk in Deutschland – eine Kooperation von ARD und ZDF, die aktiv Geld für die Produktion von Inhalten auf sozialen Medien in die Hand nehmen. Was es aber letztlich braucht, ist ein generelles Umdenken. Kulturarbeit im Internet muss als Arbeit wahrgenommen werden. Plattformen müssen Produzent*innen reell für ihre Arbeit entlohnen. Da sie dies vermutlich nicht freiwillig tun werden, braucht es Druck. Politischen Druck, gesellschaftlichen Druck, medialen Druck und solidarischen Druck. Content Creator*innen dazu zu zwingen, sich ihr Leben moralisch fragwürdig zu finanzieren und sie dann dafür zu kritisieren, ist ziellos. Das Internet muss als Schauplatz von Kulturarbeit ernst genommen werden. Es bringt nichts, die sozialen Medien zu bejammern, als wären sie ein externes Übel und nicht längst zentraler Teil unserer Gesellschaft. Solange wir weiter an Influencer*innen als Sündenböcke festhalten, solange sorgen wir dafür, dass das System, das ihre Schattenseiten hervorgebracht hat, weiter existiert.

Bernhard Frena schreibt und forscht über (queere) Netz- und Popkultur. Den Rest der Zeit lebt und arbeitet er als Grafiker in Wien.

Comic von Stephan Gasser.

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