Unbooking Society

Die Booking-Arbeitsgruppe des KLANGfestivals sieht sich mit der Kampagne „Artists against Apartheid“ im Kontext des Nahostkonflikts konfrontiert und lernt damit umzugehen. Thomas Auer berichtet.

To unbox

Unboxing ist ein Begriff aus dem Englischen und bedeutet übersetzt ‚Auspacken‘. Auf den gängigen Videoplattformen finden sich zahlreiche sogenannte „Unboxing Videos“, in denen Content Creator Produkte auspacken. Dieses Phänomen bringt richtig viele Klicks.
Meine Lesart von Unboxing Society hat nur indirekt etwas damit zu tun. Ich möchte in diesem Text jene Verpackung entfernen, in der uns gesellschaftliche Verhältnisse verkürzt oder vereinfacht erscheinen mögen. Die Verpackung steht hier für Ideologien und abstrakte sowie komplexe Zusammenhänge, die den direkten Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse verzerren oder verdecken können.

To book

Wir buchen und programmieren das KLANGfestival seit Anbeginn im Kollektiv. Wir verzichten auf die eine künstlerische Leiter*in oder eine kuratorische Leitung. Das hat zwei große Vorteile: Der Zugang bringt eine gewisse Konstanz (personelle Änderungen wirken sich nicht so krass auf die Ausrichtung des Festivals aus) und eine lebendige Diskussionskultur innerhalb des Teams mit sich (Freund*- innen experimenteller Kunst).
Ein Teil vom KLANGteam trifft sich regelmäßig (Booking AG) und diskutiert über die einzelnen Programm-Vorschläge, die inhaltliche Ausrichtung des Festivals und das Geschlechterverhältnis auf unseren Bühnen. Und wir spielen uns gegenseitig unsere aktuellen Lieblingsbands vor.

To unbook

Es ist gerade Herbst 2023, wir kündigen bald die ersten Acts für das KLANGfestival 2024 an. Wir diskutieren über gefühlt 50 unterschiedliche Bands, die uns gefallen. Warten auf die ersten Förderzusagen, erstellen Arbeitsbudgets. Woher bekommen wir die Backline, den einen Verstärker, all-male, all- female, non-binary, Intersektionalität, Repräsentation, politische Kunst, Kulturarbeit, Safer Space, Awareness, Ehrenamt, Ausbeutung, Israel.
Es ist gerade Dezember 2023 und wir haben uns zum ersten Mal gegen einen Act ausgesprochen, obwohl er uns allen ziemlich getaugt hätte.

Wo bleibt die Awareness?

In der Musik- und Clubszene macht sich eine Kampagne breit, hinter der die BDS-Bewegung steht. BDS steht für Boycott, Deinvest and Sanctions und richtet sich als Boykottbewegung gegen Israel. Eine aktuelle Kampagne läuft unter dem Titel „Artists against Apartheid“ (gute Sache!) und fehlinterpretiert den Pogrom der Hamas vom 7. Oktober 2023 als antikoloniales, antiwestliches und antikapitalistisches Ereignis (What?).
In den Sozialen Medien werden sogenannte „toolkits for artists“ geteilt. Mit Listen von Veranstalter*innen, die anscheinend boykottiert gehören. Weil sie sich gegen den Hamas-Terror oder einschlägige Symbole positionieren. Das sind einseitige, tendenziöse bis antisemitische Kampagnen, die von Bühnen aus proaktiv und mit hohem Symbolcharakter beworben werden. Das widerspricht dem, wofür das KLANGfestival u. a. stehen möchte. Ein Festival ist für uns ein Safer Space, in dem sich alle (Artists, Publikum und Mitarbeiter*innen) wohl fühlen können sollen. Wenn vermeintlich politische Kunst und Kultur zur Propaganda werden und dadurch Debatten, Widersprüche und Irrtümer nicht mehr möglich sind, sollten die Alarmglocken schrillen. Wo bleibt hier die vielbeschworene Offenheit der Kunst und (manchmal vielleicht naive) Neugier von Künstler*innen? Warum ist gerade die europäische und US-amerikanische Musik- und Clubszene bei diesem Thema so anfällig für einseitige Positionierungen?
Kann es nicht sein, dass dieses Thema extrem komplex ist? Kann es sein, dass wir gerade deshalb die einfache Erzählung von den Guten und den Bösen glauben wollen? Kann es nicht sein, dass wir mit mehr Komplexitätsbewusstsein an die Sache herangehen sollten? Kann es sein, dass wir gerne alten Mythen und Verschwörungsideologien aufsitzen? Kann es nicht sein, dass beide Seiten historisch gesehen recht haben?
Vielleicht sollten wir den Positionierungsfetisch in unseren woken Bubbles zur Seite legen, innehalten und das Internet abschalten. Zumindest bis wir wieder eine gemeinsame konstruktive Sprache finden – nicht geblendet von ideologischen Kampagnen auf Instagram, die keine Lösung für alle im Blick haben, sondern nur spalten und vor allem Recht haben wollen. Für mehr Safer Spaces, Awareness und gegen jeden Antisemitismus!

Dieser Beitrag wurde ursprünglich für das KLANGzine verfasst, das beim KLANGfestival 2024 präsentiert wird.

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