Kuratieren bedeutet Sorge tragen

Karin Schneider über den gemeinsamen Bezugsrahmen der Sorge zwischen Kuratieren und Kritisieren.

‚Kuratieren‘, hier das Gestalten von Ausstellungen und Museumsräumen, kommt u. a. vom lateinischen ‚curare‘, das ‚Sorge tragen‘, ‚sich sorgen um‘ bedeutet und ‚Care‘ nicht unähnlich ist.
Die sorgfältige Findung und Recherche eines Themas, die Pflege, Auswahl und Beschaffung der Bilder oder Objekte, die genaue Betitelung und Formulierung, die Gestaltung des Raumes, die Auswahl der Sprechweisen etc. – all das ist ernstzunehmende, verdichtete Sorgearbeit. Kuratierte Räume sind dabei sowohl Orte des Umsorgens als auch der symbolischen Gewalt, denn: Sie sind von Ausschlussprozessen und (kuratorischer) Sprechmacht durchzogen. Die Auswahl an Objekten, Geschichten, die erzählt oder verschwiegen werden, Künstler*innen, die (nicht) zu Ehren kommen und Themen, die für (ir)relevant erklärt wurden. Im seltensten Fall sind sie Ergebnis demokratischer Aushandlungsprozesse – weder innerhalb der Institutionen noch mit jenen, deren Anliegen und Lebensgeschichten thematisiert werden. In diesen Machtstrukturen drückt sich auch die kuratorische Verantwortung aus, die eben dem Sorge-tragen innewohnt. Umso ernster Kurator*innen das Sorgen nehmen, desto bedachter werden sie sein, die Räume und ihre Wirkungen zu schützen. Je besser geschützt diese Orte sind, desto produktiver lassen sie sich als Kristallisationspunkte für Kritik und Widerspruch nutzen.
Der Kulturwissenschaftler Tom Holert spricht von der „neutralisierenden Inkorporation“ der „Kämpfe auf den Feldern der Politik und Kultur“ durch die Kulturinstitutionen und ihre Logik „neoliberaler Gouvernementalität“. Jene, die in diesen Institutionen arbeiten und für diese sorgen, können jedoch von einem über diese Logik hinausgehenden „sich Sorgen machen“ getrieben sein – Sorgen machen um die Welt und ihre Kämpfe, ihre Ungleichheiten, ihre Bedrohungen. In der gemeinsamen Weltsorge treffen sich potentiell jene, die Räume kuratieren und jene, die in und mit ihnen auch auf kritische Weise kommunizieren. Es ist eben vielen nicht gleichgültig, was gezeigt wird und wie dies geschieht und diese Sorge teilen sich jene, die bestimmte Ausstellungen machen, und jene, die sie kritisieren, gegen sie intervenieren oder sie dekonstruieren.

Literatur:
Tom Holert, Politik der Selbstkritik: Widersprüche be­ sprechen, Impulsvortrag anlässlich der Buchpräsentation: Griesser-Stermscheg, Haupt-Stummer, Höllwart, Jasschke, Sommer, Sternfeld, Ziaja (Hg.*innen), Widersprüche. Kurato­risch handeln zwischen Theorie und Praxis, de Gruyter, Berlin/ Boston 2023

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