Ein Projekt der „Sunnseitn“ beim World Social Forum in Porto Allegre hat Pascale Jeannée miterlebt.
Wir schreiben das Jahr 2002. Die ganze Welt ist vom Neoliberalismus geprägt. Die ganze Welt? Eine Stadt im Süden Brasiliens leistet dem goldenen Schein erbitterten Widerstand. Sunnseitn in Porto Alegre.
Mit Hilfe eines jährlichen Gipfels internationaler „GlobalisierungsgegnerInnen“ erlangen die TeilnehmerInnen übermenschliche Kräfte und kämpfen so gegen die Mächtigen von Davos und New York. Anlässlich des viertägigen World Social Forums in Porto Alegre reisten tausende KritikerInnen der kapitalistischen Globalisierung Anfang Februar Richtung Rio Grande do Sul, in den südlichsten Bundesstaat Brasiliens, um Strategien gegen milliardenschwere Deals, die wenigen Wohlstand, vielen jedoch Ausbeutung und Armut bringen, zu entwickeln.
Bereits zum zweiten Mal fand der Kongress als Gegenposition zum Weltwirtschaftsgipfel statt. Bereits Tage vor Beginn des Treffens herrschte Chaos am Flughafen. Vor den Passkontrollen bildeten sich meterlange Schlangen von KongressbesucherInnen, die Shuttlebusse der „Freunde der Monde Diplomatique“ versperrten die Taxispur und die Hotels waren seit Wochen ausgebucht.
Das World Social Forum fand großteils etwas ausserhalb des Zentrums, auf dem Gelände der Privatuniversität PUC statt und im Gegensatz zum ersten Kongress 2001 sollten diesmal neben politischen, ökonomischen und ökologischen Themen auch künstlerische Ausdrucksformen zur Geltung kommen.
Die Kulturinitiative sunnseitn aus Oberösterreich hatte bereits im Dezember einen (von insgesamt achthundert!) Workshops angemeldet. Das Projektteam bestand aus vier Personen: Gotthard Wagner, Musiker und Kulturarbeiter, sunnseitn, Sabine Schebrak, Kulturmanagerin, for art, Christof Kurzmann, Musiker, charizma und Pascale Jeannée, Künstlerin, WochenKlausur. Erklärtes Ziel der Reise und des Workshops mit dem Titel „Relax and Multilogue“ war es, einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zur Lösung komplexer Probleme anzuregen.
Das Konzept sah vor, einen Erholungsraum an der Universität einzurichten, in dem aktivistische Initiativen ihre Erfahrungen austauschen und inmitten des Trubels auch ein wenig zur Ruhe kommen konnten. Es sollte nach Belieben geplaudert, geschlafen und „multilogisiert“ werden, was nicht anderes zu bedeuten hatte, als sich mit Händen und Füssen zu verständigen, da sich die Anwesenden oft in fünf verschiedenen Sprachen unterhalten mussten. Die Musik wurde eingesetzt, um die Kommunikation zwischendurch nonverbal fliessen zu lassen.
Dementsprechend musste der Raum natürlich adaptiert werden. Im Unterschied zu den anderen Workshops wurde die vorgegebene, dem Frontalunterricht ähnliche Raumsituation aufgelöst und eine neue Sitzordnung um zwei große Tische geschaffen. Außerdem wurden eine Ruhezone mit dreissig Matrazen, eine Teeküche und technische Geräte für Projektpräsentationen und musikalische Einlagen aufgebaut. Das Kulturzentrum Mario Quintana unterstützte die Aktion mit diversen Leihgaben.
Für Gotthard Wagner, den Gründer der sunnseitn-Initiative bestand der Anlass des österreichischen Besuchs aber nicht allein in der Realisierung und Dokumentation dieses einen Workshops. sunnseitn beschreibt die Suche nach überregionalen und interdisziplinären Projekten, die theoretisch überall realisiert werden könnten. Voraussetzung der sehr unterschiedlichen Projekte die bisher stattgefunden haben, ist die Bereitschaft, mögliche sprachliche oder kulturelle Barrieren auf musikalischem Weg kurzfristig zu überlisten. Aus dieser ersten Phase des gegenseitigen Kennenlernens ergeben sich mitunter Projekte, die auf den ersten Blick vielleicht wenig mit Kunst zu tun haben mögen: der Bau einer Solaranlage in einem Kindersanatorium in der Ukraine zum Beispiel oder die Verlegung einer Starkstromanlage zur Sanierung der lokalen Wasserversorgung. So heterogen die berufliche Laufbahn der österreichischen TeilnehmerInnen auch sein mochte, in einem Punkt war man sich einig: Kunst kann und soll politisch eingreifen.
Das World Social Forum war riesengroß. 17.000 Jugendliche hatten sich am Campingplatz niedergelassen, 2000 Organisationen waren offiziell angemeldet und 24 Stunden lang durchschallte das Klirren und Rasseln tausender Kochtöpfe, die auf den Argentinien-Demos eingesetzt wurden, Sambaklänge und der Refrain des World Social Forum „Um outro mundo é possível“ die Stadt.
Es war schwierig einzuschätzen, wieviele Leute überhaupt am Workshop „Relax and Multilogue“ teilnehmen würden und welche Schwierigkeiten die Kommunikation in den verschiedenen Sprachen bereiten würde. Drei Tage lang wurde das Experiment durchgeführt und meistens beschränkte sich die Teilnehmerzahl auf etwa dreissig Personen. Der Ablauf gestaltete sich immer ein bisschen anders und viele TeilnehmerInnen des ersten Tages erwiesen sich bis zum Schluß als treue BegleiterInnen. Die Nachmittage begannen jeweils mit der Vorstellung ausgewählter aktivistischer Projekte, dann bekamen die WorkshopteilnehmerInnen die Gelegenheit, andere Initiativen vorzustellen und über die Effizienz der unterschiedlichen Methoden und Strategien zu diskutieren. Beispielsweise wurde ein Jugendprojekt in den Favelas und ein Medienkurs für psychisch Kranke präsentiert.
Es herrschte ein Kommen und Gehen, dass von all den Aktivitäten, Demonstrationen und Kundgebungen des WSF gesteuert wurde und sich gegenseitig bereicherte.
Pascale Jeannée (( 2002)
Pascale Jeanneé (Künstlerin, WochenKlausur Christoph Kurzmann (Musiker, charizma Sabine Schebrak (Kulturmanagerin & networkerin, for art Gotthard Wagner (Kulturarbeiter & Musiker, sunnseitn