(don’t) Care

Sprechen wir noch über Care oder gestalten wir sorgsam? Die Akademie der Unvernunft ordnet die Debatte ein.

Seit einigen Jahren begegnet mir der Begriff ‚Care‘ zunehmend in Veranstaltunsgankündigungen, Ausschreibungen, Anfragen und nun auch in dem Aufruf zu dieser Ausgabe der KUPFzeitung. Woher rührt dieses plötzliche Interesse von Kunst- und Kulturkontexten an ‚Care‘ und wie verhält es sich zu weiterer gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Themen rund um Sorge-Fürsorge-Pflege-Unterstützung? Schafft es ausschließlich einen temporären punktuellen Platz für lose Bezüge, solange dies angesagt ist? Oder auch für jene Menschen, die mittel- oder längerfristig als Objekte ebendieser ‚Care‘ gelten? Wie sind beHindert_verRückte_ chronisch kranke Künstlens Teil der Debatte? Wie ein Publikum, das durch zeit_sprach_räumliche Ausschlüsse oftmals keinen Zugang dazu hat? Wie werden Strukturen, Ausschreibungsformate, Produktionsvorstellungen und -prozesse verändert um ebendiese Ausschlüsse aufzubrechen? Und inwiefern sind die jahrzehntelangen Erfahrungen, Kämpfe und Praktiken von beHindert_verRück- ten_chronisch kranken Bewegungen Teil der aktuellen künstlerisch_kulturellen Auseinandersetzungen zu ‚Care‘?

Welche Bezüge zu Care gab und gibt es in Kunst und Kultur?
Sprachlich bezieht sich ‚Care‘ erstmal nicht auf die Begriffe der vor Ort gewachsenen aktivistischen Protestbewegungen für selbstbestimmtes Leben, Deinstitutionalisierung und kollektive Unterstützung. In diesen spielte Kunst – beispielsweise in Form von Satire, oder performativem Aktivismus – von Anfang an eine wichtige Rolle. Erkämpft wurden unter anderem das persönliche Budget, persönliche Assistenz, Weglaufhäuser und kollektive (teilweise kapitalismuskritische) Wohn- und Unterstützungsformen – mit dem Ziel gesellschaftlicher Segregation entgegenzuwirken.
Viele der aktuell in Kunst- und Kulturkontexten aufkommenden Auseinandersetzungen zu ‚Care‘ wirken ent.fremdet von diesen jahrzehntelangen und nach wie vor pulsierenden beHindert_ verRückt_kranken künstlerischen Praktiken. Einen Grund dafür sehe ich in der Professionalisierung von Hilfe und Unterstützung, die Menschen und gesellschaftliche Bereiche unterteilt in „Objekte von Care“, die von der Hilfe anderer Menschen abhängig sind, „Subjekte von Care“ (soziale Trägervereine, medizinisch-psychiatrischeStrukturen, etc.),die diese als Dienstleistung bereitstellen und die restlichen gesellschaftlichen Bereiche und Personen, die als davon unabhängig und unbeteiligt angenommen werden.

Die Illusionen dahinter
Dieser Idee liegt die Illusion zugrunde, dass es die Un/Abhängigkeit ist, welche beHinderte von ent_hinderten Menschen unterscheidet. BeHindert_ver Rückte und mit anderen Schwerpunkten auch anti-kapitalistische, feministische und antikoloniale. Aktivismen und Forschungen zeigen sehr deutlich, dass die weiß_westlich_nicht-beHinderte Illusion von Unabhängigkeit nur deshalb so lan- ge gesellschaftlich aufrecht erhalten werden kann, weil die machtvoll geformten Strukturen auf die Bedürfnisse privilegierter Personen zugeschnitten sind.
Als Menschen, die in Ländern leben, deren Reichtum unter anderem auf kolonialer Ausbeutung basiert, ist unser Wohlstand immer abhängig von Ländern des globalen Südens und der nach wie vor bestehenden kolonialen Hierarchie. Ähnliches gilt für die Normalisierung patriarchaler und klassistischer Abhängigkeiten, die durch ebendiese Machtstrukturen normalisiert und ent_wahrgenommen werden. Unser Über.leben hängt von Erntestand, Wetterbedingungen, (oftmals ausbeuterischer) Arbeit ab. Menschen sind miteinander und der Natur verbunden. Die Abhängigkeit von Care-Objekten ist nur deshalb so offen-sichtlich, weil sie im Gegensatz zu strukturell privilegierten Abhängigkeiten nicht normalisiert und dadurch unsichtbar gemacht wird. Die gesellschaftlichen Strukturen, Verständnisse und Bezugnahmen sind ausschließlich auf die Bedürfnisse und Bedürftigkeiten ihrer privilegiertesten Mitpersonen ausgerichtet. Und doch werden eben diese Positionen als unabhängig (und Careunbeteiligt) verstanden.

Strukturen, die ausschließen
Im Gegensatz dazu werden die zeit_sprach_ räumlichen Bedürfnisse und Bedürftigkeiten beHindert_verRückt_chronisch kranker Menschen in Kunst- und Kulturkontexten strukturell meist nicht mitgedacht. Wir brauchen Assistenz, um an dem künstlerisch_kulturellen Dialog zu ‚Care‘ teilhaben zu können – nicht primär wegen der eigenen Beeinträchtigungen, sondern weil die Strukturen, in ihrem ausschließlichen Fokus auf nichtbehinderte Bedürftigkeiten, uns aktiv ausschließen. Ein Grund dafür ist, dass die Professionalisierung von Hilfe und Unterstützung auch Kunst- und Kulturkontexte als Care-unbeteiligt einstuft.
Weder medizinisch_pflegerische, noch künstlerisch_kulturelle Kontexte sehen vor, dass (langzeitig, vorübergehend, oder wiederholt) institutionalisierte Menschen aktiver Teil der Gesellschaft sind. Die Rolle des „Objektes von Care“ (ob nun stationär oder ambulant) sieht nicht vor, dass wir noch eine andere Aufgabe, einen anderen Lebensinhalt haben könnten als eben dieser professionalisierten Care (und der gesamten damit verbundenen Industrie) eine Daseinsberechtigung zu schenken. Dies spiegelt sich bereits in den absolut konträren Tagesabläufen, wo Krankenhäuser (aber auch ambulante Pflegedienste) oftmals keinen Ausgang. nach 20 Uhr ermöglichen und künstlerisch_kulturelle Veranstaltungen meist ausschließlich abends (und oftmals örtlich gebunden) stattfinden. Und es setzt sich fort in zeit_räum_ sprachlichen Selbstverständlichkeiten, die keine Teilhabe ermöglichen.

Sorgsame Kollektive für uns alle
Konträr zu diesem professionalisierten Verständnis von Pflege, Unterstützung und Für/sorge stehen Ansätze, die Unterstützung und Zugänge als Teil und Verantwortung von Gemeinschaft und nicht als Aufgabe und Bedürfnis Einzelner herstellen. Dies findet sich z. B. in sorgsamen Kollektiven (care collectives), wo Sorge zu einer Handlung oder Grundhaltung wird, statt zu einer Größe, die Menschen in Subjekte und Objekte und daran Unbeteiligte teilt.
Wie solche Debatten Teil von Kunst- und Kulturkontexten werden, zeigen beispielsweise die von Tanja Erhart und Julischka Stengele kuratierte Konferenz The Art of Access: Zugänge schaffen, Barrierefreiheit gestalten im brut Wien oder Veranstaltungsorte, die verschiedene Sitz- und Liegemöglichkeiten anbieten.

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