Die Kluft zwischen Wissen und Handeln

Dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, ist keine überraschende Botschaft. Wir hören sie seit den 1970er Jahren, heute besonders dringlich aus der Fridays for Future-Bewegung. Wieso eine Wende bisher dennoch nicht absehbar ist, da sie jedenfalls einen Kulturwandel braucht, analysiert Eva Leipprand.

Es gibt eine Kluft zwischen Wissen und Handeln, und diese Kluft ist wesentlich eine kulturelle. Kultur lässt sich als Rahmensystem verstehen, das eine Gesellschaft entwickelt hat; es bewirkt, dass das Individuum in der Gruppe gemeinsame Ziele verfolgt, ohne sich dieses Rahmens bewusst zu sein. Wir Menschen nehmen also unsere Umgebung und unser eigenes Handeln nicht objektiv wahr, sondern durch die Brille unserer kulturellen Vorstellungen. Ändern sich die Lebensbedingungen, taugen manche alten Rezepte nicht mehr. Die Gesellschaft muss sich anpassen. Oft verstellt aber die kulturelle Brille den Blick auf das, was zu tun ist. Der Mythos, der heute die westlichen Gesellschaften prägt, ist das immerwährende Wachstum. Das macht es so schwer, auf das Klimaproblem adäquat zu reagieren.

Die Transformation unserer Gesellschaft Richtung Nachhaltigkeit wird meist in den drei Dimensionen der Ökologie, Ökonomie und des Sozialen formuliert. Ohne einen tiefgreifenden kulturellen Wandel wird diese Transformation aber nicht gelingen. Wir brauchen die Kultur als vierte Dimension. Wir brauchen eine offene Auseinandersetzung mit den Denkmustern, die den Wachstumsmythos tragen, mit seiner einseitigen Überhöhung von Wettbewerb, Konsum, Beschleunigung, Optimierung, Innovation. Das herrschende Wirtschaftssystem ist keine absolute Wahrheit, sondern historisch gewachsen und somit veränderbar im Prozess einer kulturellen Evolution. Ein nachhaltiger Lebensstil verlangt eine andere Haltung zur Welt.

Das Aufbrechen alter Denkmuster ist das Kerngeschäft der Kulturschaffenden. Sie wirken mit an den gesellschaftlichen Narrativen und halten die Gesellschaft in Bewegung, indem sie immer wieder aus dem System heraustreten und es kritisch beleuchten, überkommene Mythen hinterfragen und neue schaffen. Sie wollen und sollen sich dabei nicht instrumentalisieren lassen. Die Kunst ist frei und muss frei bleiben, damit sie die transformatorische Kraft behält, die die Gesellschaft von ihr erwartet. Aber sie wird Mittel und Wege finden müssen, in der Gesellschaft evolutionäre Kompetenz zu entwickeln, auf der Suche nach neuen Bildern für das gute Leben in der Zukunft.

Der Kulturpolitik fällt dabei die Rolle der Moderation zu. Sie kann für das Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit sensibilisieren; Diskurse anregen in den ihr anvertrauten Einrichtungen wie Theatern, Bibliotheken und Museen; Projekte aller Art fördern, auch in den Bereichen kulturelle Vielfalt und Migration, die eng verknüpft sind mit Ressourcenausbeutung und Klimawandel. Sie kann mithelfen, eine Brücke zu schlagen zwischen Wissen und Handeln.

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