#kulturist: Die Vielen – zwischen Moral und politischem Handeln

Seit Mitte Mai gibt es eine «Erklärung der Vielen» in Österreich. Proklamiert wurde die erste «Erklärung der Vielen» im November 2018 in Berlin: ein Bekenntnis zu Pluralismus, geschichtlicher Verantwortung, Kunstfreiheit und Solidarität sowie eine klare Abgrenzung gegen Rassismus, Rechtspopulismus und -extremismus. Zentrales Kennzeichen der Kampagne ist die goldene Rettungsdecke, die seitdem auf zahlreichen «Glänzenden Demos» zu sehen ist. Mittlerweile haben weitere 20 deutsche Bundesländer und Städte die Berliner Erklärung durch regional spezifizierte Erklärungen erweitert.

Insgesamt haben über 2.300 Kulturinstitutionen und -akteur*innen die diversen Erklärungen unterschrieben. – In Österreich gilt die Erklärung für das gesamte Bundesgebiet, regionale Adaptionen werden folgen. Die Erklärung versteht sich nicht als rein deklaratorischer Akt, sondern als Verpflichtung zu begleitenden Aktionen und Veranstaltungen.

Trotz des Erfolgs gibt es Kritik. So schreibt beispielsweise der Kritiker und Kolumnist Michael Wolf auf nachtkritik.de polemisch von einer «Umkehrung der ‹Nazi-Keule›». Allein der Verweis auf das eigene Geschichtsbewusstsein reiche aus, um die eigene Rechtschaffenheit zu bezeugen. Das sei zu wenig, moralisches Gewissen ersetze hier politisches Handeln: «[E]s wird kein einziger Rechtsradikaler dadurch verschwinden, dass alle anderen immer und immer wieder betonen, wie rechtschaffen sie selbst sind.»

Wir, der Vorstand sowie die Künstlerische und Kaufmännische Geschäftsführung der ARGEkultur unterstützen diese österreichische Erklärung. Und zwar aus voller Überzeugung. Ein aktives gesellschaftspolitisches Selbstverständnis und Solidarität mit Kulturakteur*innen gehören seit jeher zur DNA unserer Institution. Sie sind als Werte in unserem Leitbild wie in unserer täglichen Arbeit fest verankert.

Aber: Damit es nicht beim Vorwurf eines «rechtschaffenen Ritual[s] [der] Selbstgerechten» bleibt, ist mehr nötig als Proklamation, Aktivismus und ein entsprechendes Veranstaltungsprogramm. Institutionen müssen sich einerseits selbstkritisch mit ihrer eigenen Geschichte, ihren Strukturen, Macht- und Exklusionsmechanismen auseinandersetzen; und andererseits aktiv alternative Praxen eines antirassistischen, antidiskriminierenden und gemeinwohlorientierten gesellschaftlichen Miteinanders erproben und leben. Ein nicht ganz einfacher, möglicherweise unbequemer Weg. Aber vielleicht ein Beitrag dazu, dass aus den «Vielen» Mehrheit wird.

Sebastian Linz ist seit 2018 Künstlerischer Geschäftsführer der ARGEkultur Salzburg, dem größten unabhängigen Kulturzentrum Westösterreichs und bislang einzigen Kulturunternehmen im deutschsprachigen Raum mit Gemeinwohl-Zertifizierung (im Rahmen der Gemeinwohlökonomie).
argekultur.at
dievielen.at

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