Warum „Offen für Alle“ nicht offen genug ist

Wikipedia ist die einzige gemeinnützige unter den 50 meistbesuchten Webseiten im Internet. Auch hierzulande erfreut sich Wikipedia größter Beliebtheit, wie eine Umfrage zu Österreichs Lieblingsmarken kürzlich gezeigt hat: Wikipedia landete auf Platz 2 hinter einem rosaroten Schnittenproduzenten und noch vor arrivierten Organisationen wie dem Roten Kreuz. Dabei werden sämtliche Inhalte der freien Online-Enzyklopädie von Freiwilligen beigesteuert. Stolz heißt es deshalb auch auf der Startseite, dass alle («anyone») mitmachen dürfen.

Trotz dieser Offenheit und einem jährlich wachsenden Spendenaufkommen kämpft Wikipedia schon seit längerem mit einem Schwund an regelmäßig aktiv Beitragenden. In den letzten 10 Jahren hat sich deren Zahl in der deutschsprachigen Version fast halbiert. Nur noch gut 5.000 Freiwillige sind so für die Pflege von mehr als 2 Millionen Artikeln verantwortlich. Hinzu kommt, dass es dem Freiwilligenkollektiv an Diversität fehlt: Schätzungen über den Anteil von Autorinnen bewegen sich zwischen 9 und 15 Prozent. Mit ein Grund dafür ist wohl das Verhalten einer kleinen, aber lauten und sexistischen Minderheit unter den Autoren und Administratoren. Wikipedias radikale Offenheit wird hier zum Problem: Wer exkludierendem Verhalten einzelner nicht konsequent entgegentritt, ist nur formal offen. Für eine Mitmachenzyklopädie, die sich dem freien Zugang zum Weltwissen verschrieben hat, ist das nicht offen genug. Im Ergebnis fehlen Artikel über unterrepräsentierte Gruppen sowie deren Perspektiven.

Bloß formale, letztlich aber systematisch exkludierende Offenheit gibt es nicht nur in der Wikipedia. Auch vor Ort, in kommunalen Beteiligungsverfahren, partizipativen Budgets oder Regionalentwicklungsprozessen dominieren oft ohnehin privilegierte Gruppen die Verfahren. Sie haben mehr Zeit, können und wollen sich Kinderbetreuung leisten oder haben weniger Scheu, vor Gruppen zu sprechen. Die Lehre aus dieser Kritik an bloß formaler, exkludierender Offenheit ist natürlich nicht der Verzicht auf partizipative Ansätze. Vielmehr geht es darum, sich aktiv um die Mitwirkung oft unterrepräsentierter Personenkreise zu bemühen. In diesem Sinn bitte ich, den folgenden Link zur Mitwirkung am neuen Kulturleitbild in Oberösterreich nicht nur selbst anzuklicken, sondern auch Leuten weiterzuleiten, die von sich aus gar nicht auf die Idee kommen würden, sich in diesen Prozess einzuklinken: → kulturleitbild.at/termine

Leonhard Dobusch ist Professor für Organisation an der Universität Innsbruck und bloggt regelmäßig beinetzpolitik.org

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