Widerworte: Faule Frauen

Meine ganze Jugend über habe ich geglaubt, ich müsste mich darüber definieren, was ich an einem Tag alles erledigt oder ‹geleistet› habe. Menschen, die wenig zu tun hatten, habe ich lange Zeit eher schief angesehen. Schließlich wurde mir von klein auf eingetrichtert: Wer nichts leistet, ist nichts. Punkt.

Eine Denkweise, die diese Gesellschaft mittlerweile in ihre DNA integriert hat, und die täglich reproduziert wird. ‹Sozial›sprecher der NEOS erklären «faule» Menschen zur Plage. Eine deutsche Bank missbraucht Kinder für ein Werbevideo, um eine ekelhafte neoliberale Jobwelt zu legitimieren. In der Arbeitswelt selber verstehen jene mit ein bisschen mehr Macht ihren Job allzu oft als Bühne, um andere zu erniedrigen, zu mobben und zu schikanieren. Willkommen im Spätkapitalismus – und der Lohnarbeit.

Die erdrückende Welt der Unterwerfung unter ein willkürliches, einzig auf Geld ausgerichtetes, unsolidarisches Gegeneinander. Ein System, das immer mehr Menschen in meinem Umfeld die Seele nimmt, und sie in kleinen oder größeren Schritten krank macht. Zum Überleben brauchen wir die Lohnarbeit, die Abhängigkeit von einem Unternehmen lässt sich nicht so leicht wegschreiben oder schönreden. Sie ist da und sie ist real. Deshalb halte ich nichts von «Gönn dir eine Auszeit!» oder «Lebe deinen Traum»-Sprüchen. Es ist ein massives Privileg, rauszugehen, die Tür zuzuhauen, und zu sagen: «Jetzt bin ich dran.» Die Realität ist für viele leider eine andere. Schließlich geht es um Existenzgrundlagen. Um das ohnehin schwierige Überleben für Marginalisierte. Um daraus resultierende psychische Folgen für alle, die sich belastenden Arbeitsumfeldern nicht mehr aussetzen können. Die ernüchternde Wahrheit ist: Am Ende gewinnen jene, die nicht von Solidarität, Fairness und Respekt abhängig sind. Jene mit den reichen Eltern und dem richtigen Pass. Strukturelle Ungleichheiten lassen sich weder durch harte Lohnarbeit noch durch akademische Abschlüsse wettmachen.

Sich diesem Leistungsfetischismus zu entziehen, heißt also auch: Strukturen zu hinterfragen. Und Arbeit anders zu definieren. Gerade Arbeit, die von Frauen geleistet wird. Emotionale, unbezahlte Care-Arbeit zum Beispiel. Unter ‹produktiv› verstehe ich heute Momente des solidarischen, unterstützenden Miteinanders – und nicht einen 8-to-5-Job. Meine ‹Leistung› definiere ich über Gespräche, in denen sich andere vor mir verletzlich zeigen. Und eine perfekte Welt? Ist eine, in der jede Frau faul sein kann.

Jelena Gučanin, geboren 1989 in Jugoslawien, gelandet 1991 in Wien. Seitdem lernt, staunt und schreibt sie dort.

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