Die Zukunft des Lokaljournalismus ist das Blog

Eigentlich war Markus Wilhelm schon ein Blogger lange bevor es das Internet oder auch nur die Bezeichnung gab. Nach kulturpublizistischen Anfängen verbreitete Tirols wichtigster Lokaljournalist über Jahre sein in Eigenregie vervielfältigtes Blatt Föhn, bevor er 2004 auf sein heutiges Blog dietiwag.at umzog. Der Name ist ein Akronym für „Die Tiroler Initiative Wir Alle Gemeinsam“, bezieht sich aber eigentlich auf seine Recherchen und Leaks von Dokumenten rund um fragwürdige Kraftwerkspläne, Korruption und Vetternwirtschaft der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag). Mit seinen Veröffentlichungen hatte Wilhelm sich eine Reihe von Prozessen eingehandelt und zumindest in Tirol landesweite Bekanntheit erlangt. Über 500.000 Euro forderte die Tiwag wegen der vermeintlichen Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnissen, scheiterte damit aber vor Gericht.

Dass der Name Markus Wilhelm mittlerweile über Tirol hinaus bekannt ist – wiewohl die Tiroler Tageszeitung (TT) ihn in ihrer Berichterstattung tunlichst zu nennen vermeidet – liegt an seinen jüngsten Enthüllungen über die Tiroler Festspiele in Erl. Wilhelm hatte anonyme Anschuldigungen gegen deren künstlerischen Leiter Gustav Kuhn (u.a. wegen sexueller Belästigung) veröffentlicht und zunächst wieder mehrere Klagen und tendenziöse Berichterstattung geerntet. Tiefpunkt war ein Bericht Mitte Mai in den „Seitenblicken“ im ORF, wonach Kuhn „auf einem Blog“ mit Anschuldigungen konfrontiert worden sei, „die aber, wie sich nun herausstellt, haltlos waren.“ Erst als fünf Künstlerinnen namentlich die Vorwürfe in einem offenen Brief untermauerten, gab Kuhn die Leitung der Festspiele ab.

Das Beispiel Wilhelms ist gleich in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Es zeigt die Relevanz von lokalem Investigativjournalismus und dass sich Ausdauer lohnt. Es dokumentiert aber nicht nur das Potential von einzelnen Personen, via Blog Öffentlichkeit zu schaffen, sondern auch die beträchtlichen Risiken, die damit verbunden sein können. Selbst wer einen Prozess gewinnt, muss bis zur Entscheidung erstmal Anwaltskosten tragen können. Das ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass noch nicht längst in jedem Bundesland ein paar Blogs, wie jenes von Markus Wilhelm, für Furore sorgen. In der Zwischenzeit gibt es aber die Möglichkeit, sich am Crowdfunding für die Prozesskosten in der Causa Tiroler Festspiele Erl zu beteiligen: unterstuetze-mw.org

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