Kunst und Revolution

Andre Zogholy über das neue Buch von Gerald Raunig das den künstlerischen Aktivismus im langen 20 Jahrhundert behandelt.

 

Darf diese Monographie Gerald Raunigs aufgrund des gewählten Titels aber auch ob der knallroten Farbe des Einbandes im Bücherregal den Platz zwischen Maos Bibel und dem Kommunistischen Manifest einnehmen? So oder so ähnlich formulierte Tina Leisch ihr Eingangsstatement anlässlich der Buchpräsentation am 30.März diesen Jahres im Wiener WUK.

poststrukturalistischen Ansätze
Es kann natürlich angenommen werden, dass sich Tina Leisch nicht an solchen Oberflächen orientierte, sondern ihre Fragestellung auf den Inhalt dieses Werks bezog. Im nunmehr vierten Band der republicart Schriftenreihe bezieht sich Gerald Raunig auf die Verbindungen und ebensolchen Linien, auf Austauschverhältnisse von Kunst und Revolution. Raunig entwickelt sein theoretisches Grundgerüst hier überwiegend mittels Deleuze und Guattari, bindet aber TheoretikerInnen wie Lenin, Marx, Benjamin, Luxemburg, Arendt, Debord, Foucault und die jüngere Marx-Deleuze/Guattari Verarbeitung durch Negri und Hardt in seine Analysen ein – ein gewissermaßen experimentelles, durchaus leicht zu scheiterndes Unterfangen, das sich einer historisch-genealogischen Verquirlung mit relevanten praxis-orientierten Diskursen bedient. Der Zusammenhang von Kunst, insbesondere künstlerischem Aktivismus mit revolutionären Bewegungen bezieht sich auf eine lange Tradition von (nicht nur) linksradikalen TheoretikerInnen wie PraktikerInnen. Raunig bleibt aber nicht – wie des öfteren erlebt – bei Revolutionstheorien anno 1918 stehen, mündend in mehr oder weniger heiße aber lähmende Diskussionen über die Bauernfrage bei Lenin und Trotzki, sondern führt diese mittels poststrukturalistischen Ansätzen über ein langes 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Und so bieten sich Deleuze und Guattari abseits einer poetischen, bekifften bis LSD-getränkten Lesart und Rezeption für eine gegenwärtige Revolutionstheorie geradezu an.

Dreiheit der revolutionären Maschine
Vor allem die Konzeption revolutionärer Maschinen spielt für Raunig in seiner Analyse eine große Rolle. Der Maschinen-Begriff bei Deleuze und Guattari geht über eine alltagssprachliche Verwendung weit hinaus und wird viel eher als ein komplexes soziales Gefüge verstanden, das im Gegensatz zu (Staats-)Apparaten nicht auf Grundlage von Mechanismen einer Strukturalisierung, einer – zumeist binären – Hierarchisierung bzw. Segmentierung funktioniert. Das Aufzeigen, das Kartographieren nicht nur von Verbindungslinien sondern viel eher von Fluchtlinien steht hier im Vordergrund. Fluchtlinien markieren Brüche, an denen keine Rückkehr zu ehemals fixierten Kodierungen möglich ist. In diesem Zusammenhang brechen Maschinen feste Strukturen auf und tendieren viel eher dazu, revolutionär und künstlerisch als kriegerisch zu sein. Und auf diesen Überlegungen setzt Raunig mit der theoretischen Ausbreitung seines Grundgerüstes dreier Komponenten der revolutionären Maschine an. Es ist eine Freude, Raunigs Ausführungen, die Verkettungen von Kunst, Kultur und Revolution nachzuverfolgen. Dieser erste Teil der Publikation, die theoretische wie historische Einführung und Explikation der Thematik, ist mit Abstand zu den spannendsten der letzten Jahre zu zählen. Raunig erarbeitet sich hier einen Revolutionsbegriff, der einen durchaus gängigen linksradikalen Chic bzw. eine Revolutionsromantik der letzten Jahrzehnte zurückweist. Er spricht von einer Dreiheit der revolutionären Maschine die sich mittels eines konstituierenden Machtapparates, der außerhalb Konstituierter, und außerhalb von Staatsapparaten Möglichkeiten und Abläufe einzurichten versucht, und mit Organisationsmodellen, kollektiven Formen und Subjektivierungsweisen experimentiert, und sich einer Reterritorialisierung, einer Strukturalisierung, einer Rekuperation durch das Spektakel selbst – zumindest temporär – entzieht.

Verkettungen
Auf diese Einführung aufbauend, versucht Raunig – mitunter an das wunderbare Werk Lipstick Traces von Greil Marcus erinnernd – Gustave Courbets Engagement in der Pariser Commune, deutsche Aktivismen der 1910er Jahre, postrevolutionäre sowjetische Kunst um Eisenstein und Tretjakov, die Situationistische Internationale, das Aufeinanderprallen der Wiener Aktionisten und der StudentInnenbewegung in der Aktion „Kunst und Revolution“ und einer sensiblen aber nicht minder spannenden Genealogie der VolxTheater-Karawane seine Überlegungen mit der entwickelten Theorie zu verketten, was ihm im Spannungsfeld des Auseinanderklaffens der vorgestellten Theo-Praxis mit dem doch sehr linearen Aufbau zumeist gut gelingt. Und so kann die Eingangs erwähnte Fragestellung dahingehend beantwortet werden, dieses Buch erst gar nicht im Regal verstauben zu lassen, sondern es vielmehr zu lesen, zu bearbeiten und mit diesem Maschine zu machen.

Andre Zogholy

Gerald Raunig, Kunst und Revolution im langen 20. Jahrhundert, Verlag Turia+Kant, 261 Seiten, ISBN 3-85132-425-0, Euro 22.-

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