Alles ist vorläufig. Alles ist käuflich.

Der Roman „39,90“ von Frédéric Beigbeder über die Werbemaschine.

 

von Stefan Haslinger

„Ihr seid Produkte einer Epoche. Nein. Der Epoche den Vorwurf zu machen ist zu einfach. Ihr seid Produkte. Da Menschen für die Globalisierung uninteressant sind, musstet ihr Produkte werden, damit die Gesellschaft sich wieder für euch interessiert. Der Kapitalismus verwandelt Menschen in verderbliche Joghurts und dopt sie mit Spaß, das heißt, drillt sie auf die Vernichtung ihres Nächsten.“1

Jene Personen, die, wenn wir obigen Gedanken weiterspinnen, als einzige schließlich ein nutzbringendes Instrument in den Händen der Global Players darstellen, sind „die Philosophen der Kommerzkultur“2 – die WerbetexterInnen und GrafikerInnen. Denn die Werbung und die Rezeption durch die p.t. KonsumentInnen ist jenes Surfbrett mit dem die Global Players über und in die Köpfe der Bevölkerung in Richtung Profitmaximierung reiten.

„Von allen ökonomischen und sozialen Systemen ist der Kapitalismus zweifellos das natürlichste. Das genügt bereits, um darauf verweisen, daß er das schlimmste sein muß (…),“3 sagt der Affe zu seiner Verteidigung in Michel Houellebecqs Roman „Ausweitung der Kampfzone“. Damit ist einmal ein Referenzbogen zum neuen Roman von Frédéric Beigbeder 39,90 (Orginaltitel „99 Francs“) gespannt. Beigbeder sowie Houellebecq gehören beide zu jener „neuen“ Generation französischer Autoren, für die die Medien gerne das Präfix „Skandal-“ verwenden. Einig sind sich die Autoren in der Sicht auf die Gesellschaft in einer gefühlsfreien, vom Begehren beherrschten und sich zusehends individualisierenden Welt. Wo aber Houellebecq radikal agiert und kompromisslos ein düsteres Weltbild, versucht es Frédéric Beigbeder mit einem Augenzwinkern.

Der Plot des neuen Romans in aller Kürze, ist die Geschichte eines Werbetexters in einer großen französischen Agentur, der, damit er sich aus dieser Tretmühle befreien kann und gekündigt wird, seine Abrechnung mit der Branche in Romanform herausbringt. Das, was dem Protagonisten Octave Perango im Roman vorschwebt, ist Beigbeder wirklich geglückt.

Eigentlich wird nichts Neues erzählt. Zur Genüge kennen wir die kleinen Geschichten rund um die Werbebranche. Was den Roman so bedrückend macht, ist die Dichte der Informationen. Wenn einem alltäglich Wahrzunehmendes geballt reingesemmelt wird, ist die Dynamik eine ganz andere. Aber es geht Beigbeder beileibe nicht um eine Anekdotensammlung. Vielmehr erzählt er die Geschichte der Globalisierung anhand eines Einzelfalls, aus der Sicht eines ihrer Zuträger. „Unsere Branche muß begreifen, daß die Feindseligkeit gegenüber der Werbung eine Bedrohung für den Kapitalismus, die Pressefreiheit, für die grundlegenden Formen der Unterhaltung und für die Zukunft unserer Kinder darstellt“, hat der Marktforscher Jack Myers 1995 gesagt. Beigbeder verdeutlicht diese These in seinem Roman, und sagt ihr den Kampf an.

„39,90“ von Frédéric Beigbeder, erschienen im Rowohlt Verlag (272 Seiten, Ös 291,-)

1 Frédéric Beigbeder: „39,90“ 2 Randall Rothberg 3 Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone

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