Das „Ende der Gemütlichkeit“

Eine Spurensuche von Harald Schmutzhard

 

Februar 2000 ging in Österreich eine politische Erschütterung durchs Land. Eine Phase der bemüht-konsensualen Regierungspolitik ging zu Ende. Erstmals gibt es mit den Freiheitlichen einen Regierungspartner, der immer wieder durch nationalistische, kunstfeindliche und fremdenfeindliche Aussagen sein eigenartiges Demokratieverständnis bewiesen hatte.

Der Widerstand gegen den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel wurde durch eine breite Protestbewegung der KünstlerInnen geprägt. Eine Repolitisierung breiter Gesellschaftsschichten fand statt. In diesem Umfeld wurde die Ausschreibung des Festivals der Regionen 2001 präsentiert. „Das Ende der Gemütlichkeit“ als Thema ließ ein kritisches und kontroversielles Festivalprogramm erwarten. Der Mut des Festivalvorstandes, das FdR 2001 in diesem aktuellen, gesellschaftspolitischen Kontext zu positionierten, war bewundernswert. Im Ausschreibungstext wurde vom Ende der Zweiten Republik gesprochen, wurden die kulturellen und sozialen Konflikte angesprochen, der Angriff auf die Freiheit der Kunst thematisiert.

Die Konzeptionsphase zwischen Ausschreibung und Einreichschluss des Festivals war geprägt von Regierungsmaßnahmen wie der Besteuerung der Unfallrenten, Schlechterstellungen der Zivildiener, Streichung der Subventionen der freien Radios, Abschaffung des Frauenministeriums, massiver Erhöhung des Zeitschriftenversandes für Kulturinitiativen, Verringerung des Krankengeldes für Schwerkranke, Einführung von Studiengebühren, Erhöhung von Selbstbehalten von Kranken usw. Die politische Praxis war geprägt von Subventionsentzug, Zensur, konservativem Werte-Rebound, Rückbau des Sozialstaates, Medienkontrolle und massiven Einschüchterungen durch Serien-Klagen. Genügend Zündstoff also für „ungemütliche“ und kontroverse Festivalbeiträge?

Das präsentierte Programm überraschte aber und spiegelte, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, das aktuelle gesellschaftspolitische Umfeld nicht wider. Die gesellschaftlichen, sozialen, medialen und kulturellen Auswirkungen des Februars 2000 werden vom Großteil der Beiträge negiert. Die oftmals kritisch betrachtete Eventkultur scheint gerade angesichts des geänderten gesellschaftlichen Klimas weiter auszuufern, verstärkt durch die Medien, die dankbar populäre Projekte aufgreifen, deren Spaßfaktor kritischere Auseinandersetzungen überdeckt.

Ich möchte auf keinen Fall einzelne Projekte kritisieren, da sich natürlich innerhalb des breiten Programms Beiträge mit den Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas und seine Konsequenzen auseinandergesetzt haben. Aber auf der Meta-Ebene war die Botschaft des Festivals der Regionen 2001, dass in Oberösterreich die Probleme im metaphysischen angesiedelt sind, dass zumindest in der Oberösterreichischen Kulturszene das Ende der Gemütlichkeit scheinbar noch nicht stattgefunden hat. Künstlerische und inhaltliche Sperrigkeit war schwer ausmachen, die Gemütlichkeit wurde kaum gestört.

Dieses Fehlen der vielerorts konstatierten Repolitisierung der Kunst wirft Fragen nach den möglichen Ursachen auf: • Sind die KünstlerInnen von den Veränderungen nicht persönlich betroffen und besteht darum keine Motivation, sich mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen künstlerisch auseinanderzusetzen? • Ist man der Meinung, dass Kunst ihre Allgemeingültigkeit und Wertbeständigkeit verliert, falls sie sich mit aktuellen Problemen und Konflikten beschäftigt? • Befürchtet man, dass eine direkte Zuordnung von gesellschaftspolitischen Inhalten den ästhethischen Werten der Beiträge abträglich ist? Ist diese inhaltliche Schräglage ein Indiz dafür, dass sich Kunst und „reales“ Leben immer weiter voneinander entfernen? • Oder hat man den Glauben an die Macht der Kunst1 verloren und setzt auf die Wiederkehr der Philosophie des Biedermeiers?

Oder sind die Ursachen nicht bei den EinreicherInnen zu suchen, sondern im Bereich der Festivalorganisation? • Liegt die Ursache in der Auswahl der Projekte durch den Festivalvorstand begründet2, der sich in Abkehr von der Ausschreibung der metaphorischen Ebene der Gemütlichkeit widmen wollte? • Hat sich der programmatische Kontext des FdR der Konsum-, Medien- und Freizeitgesellschaft zu weit angenähert? Wird das FdR bereits als Bestandteil der Unterhaltungsgesellschaft gesehen und reichen kritische KünstlerInnen aus diesem Grund nicht mehr ein?

Neben der Ursachenforschung bietet das Programm des FdR 2001 auf jeden Fall Anlass zur Reflektion über die Praxis des Festivals. Wieweit entspricht sie noch dem Grundgedanken3? Wie hoch ist der Stellenwert von Nachhaltigkeit und Partizipation beim FdR? Nachhaltigkeit im Sinne einer bewusstseinsstiftenden und diskussionsfördernden Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Klimas; Partizipation als wesentliches Element um diese Weiterentwicklung zu fördern. Wie sieht es grundsätzlich hinsichtlich des Selbstverständnisses des FdR bezüglich einer Partizipation breiter Bevölkerungsschichten aus, die über bloße Konsumation bzw. das Ausführen der Vorgaben von KünstlerInnen hinaus geht? Wo bleibt die Einbeziehung in den kreativen Prozess, die Entwicklung und Erprobung von Modellen kollektiver Kreativität?

Wie weit hat sich nicht nur die allgemeine Kunstpraxis sondern auch das FdR vom „täglichen“ Leben und seinen Herausforderungen (siehe Fußnote, Eigendefinition des Festivals) entfernt? Wie weit ist die von den Freiheitlichen immer wieder geforderte „Entpolitisierung“ der Kunst schon fortgeschritten? Oder war das „Ende der Gemütlichkeit“ ein auf die Spitze treiben des gemütlichen Abfeierns der Gemütlichkeit als dialektisches Gesamtkunstwerk; mit der Intention, das Publikum durch ein Überangebot an Konsenskultur aus der Reserve zu locken?

Harald Schmutzhard

1 s. Kommentar zum FdR in der letzten Ausgabe der KUPF-Zeitung 2 die Jury war diesmal nur beratendes Gremium 3 „At the juncture of art and everyday life, the projects of the festival integrate traditional popular culture and amateur culture in an exploration and discussion of social, political and artistic issues.“ (Quelle: Homepage FdR)

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