Die Frau als Bierflasche, der Mann als Frosch und Gott als ultimatives Tamagotchi…

von Maren Richter

 

…sind nur einige der Bilder, die der Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Zizek als Analogien in der Populärkultur findet, um Zusammenhänge zwischen Psychoanalyse, Ideologiekritik und Analyse der Kulturindustrie herzustellen. Anhand psychoanalytischer und philosophischer Theorien schließt er auf politische Phänomene wie Totalitarismus, Liberalismus oder Rassismus. In Slavoj Zizeks jüngster Veröffentlichung „Liebe deinen Nächsten? Nein, danke!“ ist das zentrale Element eine (an Lacan orientierte) Analyse des Genusses und seiner postmodernen Umwertung. Ziel ist – wie es der Untertitel „Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne“ bereits vorgibt – eine Bestandsaufnahme und Kritik des eurozentristischen Demokratiebegriffs bzw. der sogenannten multikulturellen Toleranz im globalisierten Spätkapitalismus. Dessen Dead-End besteht im Wesentlichen darin, dass „der Besonderheit der Kultur des Anderen gleichzeitig zu viel und nicht genug eingeräumt wird“. Das Andere/Fremde wird nur in einem vormodernen Sinne toleriert – im Blick auf folkloristische Rituale. Das „reale Andere“ jedoch ist per definitionem „patriarchal“, „gewalttätig“ und nie das Andere eines bezaubernden Brauchtums. Anhand des Begriffs „BalkanÓ leitet Zizek die Geschichte und die Strukturen des Rassismus in Europa ab. Ausgangspunkt Zizeks ist es, die postmoderne Situation unter dem Aspekt ihrer spezifischen Verschränkung von Genuss und Gesetz zu betrachten. Unser Verhältnis zum Anderen, zum Fremden, folgert Zizek frei nach Lacan, ist durch die jouissance bestimmt, jenes Genusses und Nutzens, den der andere uns gewährt oder den wir durch ihn gewinnen können. Hier zeigt sich, dass dieses Verhältnis innerhalb der Postmoderne ein radikal neues geworden ist. Anstelle des modernen Neurotikers tritt beispielsweise der postmoderne Perverse (vornehmlich in masochistischer Form) als Protagonist auf, in dessen Ablehnung des Anderen als das Nächste sich keine „Wiederkehr des Verdrängten“ zeigt, sondern „das verborgene Antlitz der Toleranz selbst“. (Der Perverse unterwirft sich Gesetzen – und genießt seine Unterwerfung unter einen Fetisch. Der Perverse begehrt das Gesetz, denn er genießt es, herumkommandiert zu werden.) Die Pointe des Buches besteht darin, dass die (postmoderne, tolerante, liberale, multikulturalistische) Variante, den Nächsten zu lieben, eine phantasmatische Konstruktion anbietet, die es ermöglicht, die Begegnung mit dem Symptom als dem traumatischen, fremden Kern in sich selbst zu vermeiden/zu umgehen/zu überspielen. All diesen ideologisch geprägten, phantasmatischen Formen des Leugnens oder Ausweichens hält Zizek das Ziel der Psychoanalyse entgegen, das darin besteht, die „Phantasie zu durchqueren“ und zum Kern des Genießens vorzudringen, dessen symptomatische Formation die Beschaffenheit des Subjektes erhält. Andererseits aber kann man, wie eingangs erwähnt, die Absage an „Liebe Deinen Nächsten!“ auch so verstehen, dass eine wirkliche Begegnung mit dem Nächsten, jenseits der Schutzphantasien, eine Begegnung mit dem realen Kern des Genießens wäre, welches ihn ausmacht, eine Begegnung, die einfach zu schockierend und überwältigend wäre. Zizek diskutiert diesen Aspekt unter dem Begriff des „entsublimierten Nächsten“, dessen Nähe den erhabenen Status in Frage stellen würde: Statt der sublimen Person als Objekt meiner Nächstenliebe finde ich die reale Präsenz dieses Nächsten vor, einen Ekel erregenden, Schleim und Exkremente absondernden Haufen aus Fleisch und Blut.

In vier Teilen werden einzelne Schritte zum Phantasma „Nächstenliebe“ nachgezeichnet: Teil eins beschäftigt sich beispielsweise anhand des „idealen Paares“ Kant und Sade mit dem Problem der „Reduzierung des Nächsten auf den Status eines Gegenstandes, den es zugunsten der eigenen jouissance rücksichtslos auszubeuten gilt“. Der zweite Teil, „Der Nächste als ein Ding“, lokalisiert die Wurzeln unserer Intoleranz gegenüber dem Nächsten in dem eben angedeuteten Sachverhalt, „dass der Andere für uns das ist, was Freud als ‚das Ding‘ bezeichnet hat – die Verkörperung einer traumatischen, unerträglichen jouissance, die vom Schutzschirm der Phantasien zugleich evoziert und verhüllt wird“. In Teil drei – „Der große Andere existiert nicht“ – setzt Zizek die wachsende postmoderne Intoleranz mit dem „Niedergang dessen, was Lacan als ‚den großen Anderen‘ bezeichnet“, in Beziehung und in Folge mit dem Niedergang der „Ordnung der symbolischen Effizienz, die den Rahmen für die friedliche Koexistenz zwischen Subjekten bildet“. „Ist der Cyberspace die letzte Form des Fetischismus?“, als vierte Frage, steuert zwischen Cyberspace-Pessimismus (‚das Ende des kritischen autonomen Individuums‘) einerseits und seiner postmodernen Feier als „Ort der Befreiung von den Zwängen der patriarchalischen Logik“ andererseits einen dritten Weg an und schlägt vor, das emanzipatorische Potential des Cyberspace darin zu suchen, „dass man in ihm jene grundsätzlichen Phantasien externalisieren und so eine gewisse Distanz zu ihnen gewinnen kann, die für die Koordinaten unserer jouissance verantwortlich sind“.

Wenn gleich dieser Teil interessante Perspektiven hervorbringt, ist es zugleich auch jener Teil, der die aktuellen Chancen einer Politisierung (im Netz) als noch sehr reduziert darstellt. Zizek schlägt vor, das befreiende Potenzial des Cyberspace darin zu sehen, dass das Virtuelle das Reale rühren kann, nämlich als eine psychische Realität. Darin ist der Cyberspace als eine Art Spielwiese zu verstehen, auf der man die „Permutationen einer Matrix durchprobiertÓ, um so ein Durchqueren der Fantasie zu erreichen – denn dann müssen wir uns der zugrundeliegenden fundamentalen Phantasie in ihrer nicht-sublimierten Form stellen Ð befreit von der Symbolisierung oder dialektischen Vermittlung.

Slavoj Zizek, „Liebe deinen Nächsten? Nein Danke! – Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne“ Verlag Volk und Welt, Berlin 1999

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