An einer Definition des Begriffes Zivilgesellschaft versucht sich Franz Fend
Stallgeruch allemal
Als der Autor dieser Zeilen unlängst dienstgemäß das sogenannte „Kistl“, das die redaktionelle Post des Tages beinhaltet, durchforstete, fiel ihm eine Presseaussendung der Interessenvertretung österreichischer gemeinnütziger Vereine auf. Unter dem Titel „Nächster Regierungs-Schlag gegen gemeinnützige Einrichtungen“ protestierte die Interessenvertretung, der auch der Verein „Rettet den Stephansdom“ angehört, gegen die Streichung des begünstigten Zeitungstarifes. Die sei ein „vehementer Angriff auf die Zivilgesellschaft“, stellten die gemeinnützigen Vereine fest. Beim weiteren durchackern des „Kistls“ fand sich das offizielle Organ der sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, die „Sudetenpost“. Eine revanchistische Postille, die in der betreffenden Ausgabe, neben anderen Artikeln die gut und gerne unter den Tatbestand der Verhetzung fallen, die Entschädigungszahlungen für NS-Zwangsarbeiter zum Anlass nahmen, auch für sich selber Entschädigungszahlungen zu verlangen, weil sie ja auch aus der damaligen Tschechei vertrieben worden seien. Verjagt wurden sie deswegen, weil sie mit den Nazis kollaboriert hatten. Man beachte: Nazikollaborateure die zwangsarbeiten ließen, stellen sich auf eine Stufe mit den Opfern des Faschismus.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun, außer, dass auch dieses Hetzblatt mit dem vergünstigten Postzeitungstarif verschickt worden ist? Die Landsmannschaft zählt offensichtlich auch zur Zivilgesellschaft, die von den gemeinnützigen Vereinen da proklamiert worden ist. Mit dem Begriff Zivilgesellschaft wird ja in jüngster Zeit recht inflationär und vor allem recht unreflektiert und undifferenziert gefuhrwerkt. Es wird ihm etwas grundsätzlich widerständisches, oppositionelles zur herrschenden Politik angedichtet. Hat in den 90er Jahren Kulturarbeit als Surrogat linker Politik gedient, muss heute Zivilgesellschaft als Ersatz für linkes Denken und Handeln herhalten. Das geht soweit, dass in Linz unter dem Motto der „Zivilcourage“ demonstriert wird. Als ob Zivilcourage in Österreich nicht eher dafür steht, wenn ein Law-and-Order-Faschist seine Gartenzwerge mit der Pumpgun verteidigt. Was aktuell mit dem Begriff Zivilgesellschaft passiert, ist das Verdecken von Widersprüchen, das verschleiern von Gegensätzen und Interessen. Es ist das Zusammenscharen im kulturalistischen Stallgeruch. Also höchst an der Zeit, sich wieder einmal mit dem Begriff der Zivilgesellschaft theoretisch auseinander zu setzen, woher er kommt und was Zivilgesellschaft beeinflusst. Denn es geht nicht um die naive Gruppierung um einen Begriff, sondern um dessen Handhabe in einer Gesellschaft. Und da geht es auch um Mehrheitsverhältnisse. Wenn Andreas Khol seine „Bürgergesellschaft“ propagiert, so zeigt sich eine Dimension von Gramscis „società civil“. Khols Bürgergesellschaft ist nichts anderes als ein Euphemismus für Volksgemeinschaft.
Antonio Gramsci, einer der wesentlichen Theoretiker auf diesem Feld, setzt im Gegensatz zu den naiven Hoffnungen der kulturalistischen Gemeinschaft Zivilgesellschaft als dritten gesellschaftlichen Sektor immer ins Verhältnis zu den ökonomischen und politischen Machtverhältnissen in einem Staat. Gramscis Zivilgesellschaft war, wie auch Brechts, eine durchaus dialektische. Sie war nicht als starrer Block neben Staat und Ökonomie entwickelt, sondern nur in Wechselwirkung möglich. Vor allem aber behandelte Gramsci seine „società civil“ immer in Zusammenhang mit der Revolution und der Veränderung der Hegemonieverhältnisse in einem Staat. Ein Titel, der in diesem Zusammenhang wärmstens empfohlen werden kann, ist Sabine Kebirs „GramiciÕs Zivilgesellschaft Ð Alltag, Ökonomie, Kultur, Politik“. Kebir spannt den Bogen von den Ursprüngen des Diskurses über die Begriffsentwicklung zu den Funktionen und Perspektiven der Zivilgesellschaft. Wesentlich erscheint ihre Auseinandersetzung mit Faschismus und Populismus als Kategorien bürgerlicher Herrschaft sowie ihren Theoremen zur Organisation der Hegemonie als Elemente einer neuen Kulturtheorie. „GramsciÕs Zivilgesellschaft“ sei allen, die in den akuten zivilgesellschaftlichen Schwurbel hineingeraten sind, wärmstens ans Herz gelegt. Sabine Kebir: GramsciÕs Zivilgesellschaft, Alltag, Ökonomie, Kultur, Politik; VSA-Verlag, Hamburg 1991