Freie Medien!

Es gibt keine Öffentlichkeiten, es sei denn, wir schaffen sie.

 

von Robert Zöchling

Was bedeutet frei?

Freie Medien machen es sich vornehmlich zur Aufgabe, Öffentlichkeiten herzustellen – nicht Märkte, auch nicht ihre eigenen. Unwillkürlich aber notwendig stellen sie damit auch kleine Märkte her, vor allem ihre eigenen. Daß es sich darum nicht hauptsächlich handelt, ist indes die Voraussetzung dafür, so etwas wie Öffentlicheiten in nennenswertem Maß und nennenswerter Qualität überhaupt herstellen zu können. Die Freiheit Freier Medien ist also zunächst möglichste Freiheit von Vermarktungserfordernissen zugunsten freier, ausführlicher, kritischer und unspektakulär kontroversieller Informations- und Gedankenveröffentlichung. Freie Medien wollen nicht Zielgruppen anvisieren, sondern LeserInnen, HörerInnen, UserInnen zu Diskussionen anregen, die ihre eigenen sind und ihnen die dafür nötige Information zur Verfügung stellen. Freie Medien wollen nicht Meinung machen, sondern kritisches vor-, mit- und nachdenken ermöglichen und demgemäßes gesellschaftliches Handeln anregen und ermöglichen. Die Freiheit Freier Medien ist auch möglichste Freiheit von „etablierter“ Politik (nota bene: jede Politik, die eine sein will, muß nach Etablierung trachten) und öffentlichen Einrichtungen. Freie Medien müssen nicht hauptsächlich Politik beraten, sondern kritisieren. Wenn Politik und staatliche Funktionäre daraus etwas lernen und die Kritik in positive Reformprogramme integrieren können, ist das zwar mit der größten Selbverständlichkeit auch wieder zu kritisieren, im übrigen aber ein nicht unerwünschter Effekt. Wenn sie so etwas staatlich fördern, weil sie nicht nur selbst etwas lernen, sondern das auch anderen ermöglichen wollen, akzeptierten wir das gerne und können – nein, nicht Wahlwerbung im Gegengeschäft, sondern: noch mehr Kritik bieten.

Was solls‘?

Diese kritische Funktion ist keine zufällig oder mutwillig ausgesuchte, sondern eine notwendige Funktion von und in Öffentlichkeit schlechthin. Wo keine Kritik, da erfahrungs- und theoriegemäß keine Öffentlichkeit. Um das wenigstens theoretisch zu wissen, mußte man bisher in besser entwickelten Zivilisationen weder links noch radikal sein, sondern bloß eine intakte Idee von bürgerlicher Öffentlichkeit haben. In Österreich galt solches, bloß zivilisiertes Treiben schon bisher als radikal und zumindest irgendwie unhöflich (Politiker – nämlich gerade solche mit „fortschrittlichem“ Image – reagieren hierzulande auf Kritik seit jeher nicht mit Auseinandersetzung, sondern mit Verstimmung und Förderungs-Entzug). Diese kritische Funktion ist heute dringender notwendig denn je und wird noch dringender werden, als sie heute schon ist. Die Tages- und Wochenzeitungen, wie wir sie kennen, werden den Teufel tun, die notwendige Kritik zu leisten und den anstehenden Widerstand gegen die destruktive Dynamik, die Markt und Staat angenommen haben, zu begleiten. Das ist nicht ihre Aufgabe. Gute Unternehmen sind „good citizens“ Ð und schon vollziehen sie den „nationalen Schulterschluß“, während und indem sie ihre Kasperl und Krokodile sich um die Bezeichnung streiten lassen.

Wie gehts‘?

Für „good citizens“ wird sich in der „Bürgergesellschaft“ schon irgendein Platz finden. Für uns nicht, es sei denn, wir schaffen ihn uns selbst. Das ist unerfreulich, denn, wie Rolf Schwendter bei der Konferenz der IG Kultur „sektor3/kultur“ anmerkte: Die „Zivilgesellschaft“ ist eine Frage des Geldes und die Angehörigen der „Zivilgesellschaft“ sind meist arm. Es wird uns aber für längere Zeit keine andere Option bleiben: Die einen Armen produzieren Freie Medien, wobei Selbstausbeutung für die meisten nicht die Ausgangssituation, sondern das angestrebte Produktionsverhältnis ist (Selbstausbeutung liegt nämlich recht eigentlich erst vor, wenn mit irgendeinem Einkommen verbunden). Die anderen Armen bilden die Öffentlichkeiten, die sich ihre Freien Medien leisten müssen. Gibt es dafür weder staatliche Förderungen noch nennenswert Inserate und fällt auch noch der begünstigte Postzeitungstarif (Stand 21. April: er fällt), dann wirdÕs teuer.

Was war und ist?

Der Unterschied zwischen dem Regierungs-Schlamassel, mit dem wir es jetzt zu tun haben, und dem vorangegangenen, sozialdemokratisch-christlichsozialen Schlamassel besteht darin, daß die Sozialdemokraten sachlichere Sachwalter der staatlichen Verwaltung waren und zu generellen, ausgleichenden Regelungen neigten. Die schiere Willkür, zu der die SPÖ von der ÖVP in Sachen Publizistikförderung erpreßt wurde, ärgerte sie deshalb wirklich. Die Handstreichartige Abschaffung des begünstigten Postzeitungstarifs und sich anbahnende Willkürverwaltung in diesem Bereich (Khol: „die Böcke von den Schafen trennen“), ärgert sie auch wirklich. Im übrigen war den Sozialdemokraten an kritischen Öffentlichkeiten bloß nicht allzuviel gelegen, während ein Khol und seine neuen Koalitionsfreunde unseren kritischen Medien und ihren LeserInnen offen den Kampf ansagen. Die SPÖ hat es bloß jahrzehntelang vollständig versäumt, eine strukturierte, gesetzlich geregelte Förderung förderungswürdiger Medien zu schaffen. Hätte es eine solche (statt der quasi-feudalen Vergabe von „Zuwendungen“ aus diversen Ministerial- und Werbebudgets – jederzeit rückziehbar im Falle der Verstimmung) gegeben, dann wäre die heute erstens auch flugs abgeschafft, dann hätten wir allerdings zweitens heute möglicherweise ökonomisch besser gesicherte und öffentlich wirksamere Freie Medien, also Ð wenn man durchaus so will Ð „zivilgesellschaftliche“ Stützpunkte, von denen wir ausgehen könnten. Stattdessen wurden dreißig Jahre lang unverdrossen 300 Millionen Schilling per anno an einige Tages- und Wochenzeitungen ausgeschüttet, damit die wenigstens eine Ruhe geben sollten, was die natürlich auf ihre sensationell sinnlose Weise auch nicht taten. Ob und wer in irgendwelchen Parteien in den letzten zehn Jahren Freie Medien gelesen, gehört, gesehen hat, ist anhand stattfindender Auseinandersetzung oder erkennbarer Lerneffekte nicht nachvollziehbar. Unsere Öffentlichkeiten finden heute weitgehend abseits von Politik statt.

Was wird?

Daß wir trotzdem Freie Medien haben, ist erstaunlich genug. Auf einen Regierungswechsel warten und dann auf so etwas wie eine nachholende Zivilisierung österreichs hoffen, würde ich unter dem Titel „Das Lemming-Projekt“ ablegen und mich nicht weiter damit befassen. Wenn andere Regierungsparteien andere Anstalten als die gegenwärtigen machen, wird man ihnen unsere positiven Reformvorschläge aus den letzten Jahren bis Jahrzehnten wiederverlautbaren. Vielleicht nehmen sieÕs diesmal ernster, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht nehmen sieÕs diesmal auch inhaltlich ernster und machen sich zu TeilnehmerInnen an unseren Öffentlichkeiten, also zu LeserInnen, HörerInnen und UserInnen. Vielleicht tun sie aber auch weiterhin nichts anderes, als einer handvoll Tages- und Wochzeitungen hinterherzuhecheln und sich in ihrer Lektüre auf DIN A4-Waschzettel ihrer MitarbeiterInnen zu beschränken. Die aktuelle Regierung begegnet uns nicht bloß mit Ignoranz, sondern mit offener Gegnerschaft. Über eine nächste wissen wir noch nichts. Über die Marktmedien wissen wir längst genug – sie taugen zu gar nichts. Deshalb sollten wir uns auf unsere eigenen Öfentlichkeiten besinnen, diese herstellen, nutzen und ermöglichen. So wie sie sind, sind sie auch unzulänglich, das wissen wir. Wir brauchen weniger Bindung an Kleinstgruppen und mehr Diskussion, wir brauchen die qualifizierte, inhaltliche „Vernetzung“ bestehender Teilöffentlichkeiten, wir brauchen die Entwicklung unserer eigenen Aktualität und unserer schnellen Informationskanäle, um nicht bei jedem Anlaßfall der aufgenötigten, spektakulären Aktualität ausgeliefert zu sein.

ProduzentInnen: Kümmert Euch darum, womöglich intensiver, besser, geschickter als bisher schon! LeserInnen, HörerInnen, UserInnen: Mehret Euch! Abonniert, was Euch interessiert! Spendet, so ihr könnt! Weist anderen den Weg zu den Freien Medien, die sie interessieren könnten! Es gibt keine Gedanken- und Informatiosfreiheit, es sei denn, sie zu ergreifen!

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