Du bist müde. Und wütend! Du bist es leid, zu erklären, zu begründen und sachlich zu bleiben, wenn du auf Ungleichheit im Alltag stößt. Die gab es zwar schon immer und wird es wohl auch immer geben. Aber was dir fehlt, ist Verhältnismäßigkeit. Die ist unserer Zeit nämlich ziemlich abhandengekommen. Während die einen touristische Expeditionen ins Weltall unternehmen, können sich andere keine Öffis leisten. Klingt übertrieben? Wäre schön.
Was dich besonders wütend macht? Die Perspektivlosigkeit. Wir sind in ein Wirtschaftssystem verwickelt, das erst seit 250 Jahren existiert und doch erscheint es uns unvorstellbar, auch nur ergänzende Optionen aufzubauen. Und das, obwohl wir inzwischen die Schwachstellen des Systems ziemlich gut kennen. Aber wen kümmert es schon, wenn die nächste Immobilienblase platzt oder der Regenwald abgeholzt wird. Solange am Ende die Richtigen daran verdienen, ist doch alles gut, oder?
Gelingt es dir dann, aufzusteigen und eine*r von denen da oben zu werden, begleitet dich vor allem ein Gedanke: Du hast es nicht verdient, hier zu sein. An guten Tagen argumentierst du dagegen, schaffst es vielleicht sogar darüber zu lachen, wie weltfremd manche Kolleg*innen auftreten. An anderen Tagen aber bist du erstaunt über das selbstsichere Auftreten der anderen und voller Ehrfurcht lässt du dir von ihnen die Welt erklären. Das führt auch dazu, dass du dich weniger einbringst, dich unsichtbar machst. Doch damit bleiben die Themen der weniger Privilegierten außen vor. Und wenn du dann doch über gerechte Verteilung oder sogar Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem sprechen willst, wirst du schnell als naiv
deklariert. Das Schlimmste daran ist aber, dass du anfängst, ihnen zu glauben. Zu glauben, dass du selbst schuld an deiner Lage bist. Dass du einfach nicht mehr kannst und deine Meinung im Grunde keinen Wert hat. Denn es fehlt dir und vielen anderen schlichtweg an Erfahrung in kulturellen oder akademischen Bereichen. Dass es umgekehrt zwar genau so ist, fällt kaum ins Gewicht, denn selten möchte jemand von denen an deinen Lebenserfahrungen teilhaben.
Doch du möchtest nicht im Streit auseinandergehen. Erfreulicherweise gibt es zunehmend Aufmerksamkeit für deine Themen, wobei du dich immer öfter fragst, ob es nicht vielmehr unsere Themen sein sollten. Also die der Gesellschaft. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet etwa die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur. Damit können auch diejenigen kulturelle Angebote wahrnehmen, die eigentlich keine finanziellen Ressourcen dafür haben. So wird zumindest temporär und örtlich beschränkt aus dem „du“ und „den anderen“ ein „wir“. Solange die strukturellen Probleme bestehen, geht es vielleicht genau darum: um das Zusammenkommen – auf der Bühne und im Publikum – von denen und den anderen, von uns. Und wer, wenn nicht die Kunst, kann diese Unterschiede überbrücken.
Die Aktion Hunger auf Kunst und Kultur feiert in Wien aktuell ihr zwanzigjähriges Jubiläum, ist aber auch in den anderen Bundesländern präsent: hungeraufkunstundkultur.at