Hartes Brot Gerechtigkeit

Über die Illusion eines ‚anständigen‘ Kapitalismus

Am Anfang zwei (rhetorische) Fragen: Passt Fairness in ein Wirtschaftssystem, das auf Profitmaximierung aufbaut? Oder ist sie wie beim modernen Sport reines Lippenbekenntnis? Obwohl schon die Metal-Band Metallica in … And Justice for All 1988 die erste Frage mit einem klaren Nein beantwortet hat, empfiehlt sich ein Blick in die Philosophie. Zu deren Themen gehört seit jeher die Gerechtigkeit, von nachhaltigem Einfluss auf den Zustand unserer Gegenwartsgesellschaft sind die Schriften von John Rawls. 1971 publizierte der US-Amerikaner eine Theorie der Gerechtigkeit, die zentrale Bedingungen des egalitären Liberalismus definierte: «Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist». Und: «Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen den am wenigsten Begünstigten den größt-möglichen Vorteil bringen». Papier ist geduldig, und immerhin wurde der Gerechtigkeitsgehalt der Gesellschaft wenigstens im akademischen Raum hinterfragbar. Exponent*innen des heute herrschenden Neoliberalismus kritisieren Rawls freilich scharf: Staatliche Kompensierung «natürlicher» Ungleichheiten verwandle den Staat in eine «egalitaristische Umverteilungsmaschinerie». So das Mantra schamloser Rudelführer*innen des Raubtierkapitalismus, etwa jener Milliardär*innen, die in Corona-Zeiten – welch Überraschung – ihr Vermögen erheblich steigern konnten, während der Rest (inklusive Mittelklasse) die Arschkarte gezogen hat. Wenn alle Menschen ihre jeweiligen Zwecke verwirklichen wollen, bleiben trotz liberalem Gerechtigkeitscredo und dessen vorgeblicher Gemeinwohlorientierung in der Realität nur die Stärksten übrig: Egozentriker*innen, die ihre eigenen Kräfte vor allem auf Kosten und nicht zum Wohle anderer verwirklichen. Schon Bertolt Brecht wusste, dass Gerechtigkeit herrschen muss, damit Unterdrückung aufhört. In diesem Sinne präzisierte der große Dichter Kants kategorischen Imperativ in dem Satz: «Schaff einen Zustand, wo dein Handeln die Maxime für das Handeln jedermanns sein kann». Empathiefähigkeit ist der Schlüssel, um Taten zu verhindern, die man selbst nicht erleiden will. Gerechtigkeit, so Brecht 1953, sei das «Brot des Volkes», das von den Unterdrückten selbst gebacken werden müsse.

Wenn überhaupt, dann backen zeitgenössische ‹Gesellschaftskritiker*innen› aber kleinere Brötchen – solche, bei denen allein schon ein Fair-Trade-Siegel zur Gewissensberuhigung zu genügen scheint.

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