Fair Pay mit Fleisch füllen

Gabriele Gerbasits war langjährige Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich und hat die Kampagne ‚Fair Pay‘ mitentwickelt. Darüber, wo wir heute stehen, wie wir über Arbeit reden und wo es hingehen kann, spricht sie mit Julia Müllegger.

Julia Müllegger: Ausgehend vom Start der ‚Fair Pay‘-Kampagne vor 10 Jahren, wo stehen wir heute auf einer Skala von 0 bis 10?

Gabriele Gerbasits: Von der damaligen Zieldefinition bei 5,5. Fair Pay war ein Projekt der IG Kultur Österreich, das in seiner ersten Phase von der Ländervertretung übernommen wurde. In meiner Erinnerung haben IG Kultur Wien und KUPF OÖ die Themenführer*innenschaft dieser Kampagne übernommen und die IG Steiermark und der Dachverband Salzburger Kulturstätten waren für Grafik, Plakate, Postkarten etc. zuständig. Dieses Zusammenspiel wurde von der IG KÖ koordiniert und es war sinnvoll und vor allem effektiv, dass die Landesorganisationen die Kampagne an sich gezogen haben. Denn die Fair Pay-Kampagne konnte nur im Zusammenspiel von Bund und Ländern funktionieren. Die Bundesvertretung (IG KÖ) hat das Gehaltsschema für Angestellte und die TKI das Honorarschema erstellt.

Gespräche mit der Gewerkschaft verliefen gut, führten aber zu keinem konkreten Ergebnis. Schritte, um mit diesem Thema politisch landen zu können, gab es immer wieder. Als Thomas Drozda Minister wurde, gaben gute Gespräche kurzzeitig Hoffnung, das Thema unterzubringen, auch wenn es damals nicht so im Regierungsprogramm stand. Aktuell geht es darum, Fair Pay wiederum mit Fleisch zu füllen. Für unsere Mitglieder war es wichtig, über ein Gehaltsschema zu verfügen. Ein anderer Meilenstein war, den Beirat dazu zu bringen, das Gehaltsschema in Beiratsdiskussionen einzubringen. Es ist nun ein wirklicher Glücksfall, dass Fair Pay im aktuellen Regierungsprogramm so prominent verankert ist. Dafür gibt es die 5,5. Die 10 zu erreichen wird dann schon schwierig.

Bund, Länder und Interessengemeinschaften beraten nun das erste Mal gemeinsam wie u. a. ‚Fair Pay‘ im Kunst- und Kulturbereich realisiert werden kann. Die Gesprächsplattform ‚Arbeitsgruppe Fairness‘ und das ‚FORUM Fairness‘¹ sind große Meilensteine.

Genau, jetzt hat der Bund auf Verwaltungsebene die Führer*innenschaft übernommen, was in der Folge die IG KÖ in eine andere Position innerhalb der Kampagne bringt. Dennoch werden die Interessenvertretungen in den Bundesländern durchaus mitarbeiten müssen, um das zu befeuern. Dieses Zusammenspiel der Interessenvertretung auf Landesebene gibt es nur in der IG KÖ und deswegen können auch nur wir Kampagnen in diesem föderalen System durchsetzen.

Ist es nicht auch eine Art Zeitgeist bzw. die Art, wie der Begriff Arbeit definiert wird, weshalb ‚Fair Pay‘ nun zielorientiert diskutiert wird?

Prekaritäten wurden auch in anderen Arbeitsfeldern sichtbar. Wir sitzen nicht mehr im Elfenbeinturm, heute redet auch eine Arbeiterkammer über prekäre Arbeitsverhältnisse. Das Prekäre ist in der breiteren Gesellschaft als Diskursthema angekommen. Das hilft uns – leider. Corona hilft uns wahrscheinlich aus dieser Perspektive auch: Es ist viel sichtbarer geworden, was wir für die Gesellschaft leisten. Wir hatten und haben das Problem, dass Kulturpolitik völlig irrelevant von den anderen Politikfeldern betrachtet wird. Seit COVID-19 haben Kulturthemen wieder die Innenpolitikseiten erreicht und auch die Medien haben Kultur wieder als Politikfeld erkannt. Wir wissen ja schon lange, wie sehr Kultur mit Wirtschaft, Tourismus usw. zusammenhängt. Jetzt wissen es die anderen auch wieder. Das treibt den Diskurs voran. Als Fair Pay unter BM Drozda diskutiert wurde, sind allgemeine Fragen ins Zentrum des politischen Diskurses gerückt: Wie können Menschen von ihrer Arbeit leben? Es ging nicht nur um Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen, sondern um breite Teile der Gesellschaft. Die Thematisierung von Arbeit hat die Fair Pay-Kampagne unterfüttert.

Die Diskussion um die Begrifflichkeiten möchte ich noch etwas vertiefen. Ist es ein gesellschaftliches Paradigma, dass (Kultur)Arbeit keinen Spaß machen darf? Müssen sich gesellschaftliche Werte verändern, damit eine Kampagne wie diese Erfolg hat?

Ich glaube, ich hätte «Ja» gesagt, wenn nicht Corona gekommen wäre. Bei der Antwort muss man zwischen Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen unterscheiden. Künstler*innen wird viel stärker zugeschrieben, dass sie das nur aus Freude an den Inhalten machen. Ein Teil der Leute hat nun verstanden: Egal, ob die das jetzt aus Freude machen oder nicht – wir brauchen, dass sie es machen. Bei Kulturarbeiter*innen habe ich das nie so stark empfunden. Den Diskurs bzw. die gesellschaftliche Diskursverschiebung kann ich jetzt noch nicht fassen, aber sie findet in allen möglichen Feldern statt: in der Kultur, der Architektur, der Gastronomie und wir müssen schauen, wie wir uns darin positionieren.

Veronika Kaup-Hasler verwies im Rahmen des Symposiums ‚Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit – Fair Pay‘² auf die Selbstverantwortung der Kunst- und Kulturarbeiter*innen und meinte sinngemäß, dass man nicht alles zu jedem Preis machen soll. Wenn wir gerade im Moment einer Verschiebung sind, welches Handeln ist in dieser Situation durch Betroffene gefragt?

Das ist keine neue Position der Stadt Wien und ich finde es obszön, das in einer Machtposition zu sagen: «Ich gebe euch zwar nur die Hälfte der Subvention, aber eigentlich solltet ihr es um den Preis nicht machen.» Ehrlicher wäre es, zuzugeben: «Ihr kriegt die Subvention nicht, weil wir können es uns nicht leisten.»

Es ist der Zeitpunkt einer Positionierung. Aber das werden wir den Arbeitnehmer*innen – nehmen wir einmal kurz den Begriff, damit man es klarer sieht – nicht anlasten können. Egal in welchem Feld sie sich befinden, werden sie immer versuchen, sich so billig zu verkaufen, dass sie irgendwie überleben. Das wird jede Honorargrenze unterschreiten, wenn man sie nicht festmacht. Deshalb zielte die Gewerkschaft in unseren Gesprächen auf einen Kollektivvertrag anstelle von Empfehlungen für Gehälter und Honorare.

Mit Blick auf die Machtverhältnisse sollte der Staat Subventionen nur vergeben dürfen, wenn die Honorargrenzen nicht unterschritten werden. Der Staat vergibt Geld in Form von Werkverträgen oder Subventionen. Bei Werkverträgen – wenn er ein Werk möchte – zahlt er ein normales Honorar. Bei den Subventionen achtet er nicht darauf, deshalb kannibalisieren sich Antragsteller*innen oft selbst, um Projekte überhaupt durchführen zu können. Und um auf deine Frage konkret zu antworten: Die Künstler*innen müssten sich stärker gewerkschaftlich organisieren, um sich diesbezüglich besser vertreten zu können.

Die IG Kultur Österreich ist die kulturpolitische Inter­ essenvertretung auf Bundesebene. Auf Landesebene vertreten IG Kultur Burgenland, IG Kultur Steiermark, IG Kultur Vorarlberg, IG Kultur Wien, IG KIKK, Kulturvernetzung Niederösterreich, TKI – Tiroler Kulturinitiativen, der Dachverband Salzburger Kulturstätten und die KUPF OÖ die Interessen ihrer Mitglieder. Die Landesverbände sind Mitglieder der IG KÖ und – als ‚Ländervertretungen‘ – miteinander vernetzt.

Die Fair Pay­Kampagne der IG KÖ teilt Kulturarbeit in fünf Kategorien ein. Im Gehaltsschema ist ein Brutto­Einstiegsgehalt von 1.651 € bis 3.594 € (bei 35 Wochenstd.) vorgesehen. Im TKI­ Honorarspiegel für Selbstständige liegen die Mindest­Stundensätze bei 18,78 € bis 43,99 €.
→ igkultur.at/projekt/fair­pay

¹ Als Gesprächsplattform wird dazu eine bundesweite Arbeitsgruppe Fairness eingerichtet, die aus Nominierten der neun Bundesländer sowie Vertreter*innen der Kunst- und Kultur-Sektion im BMKÖS besteht. Das FORUM Fairness besteht aus Vertreter*innen der diversen Interessenvertretungen. Die Vertreter*innen werden vom Österreichischen Kulturrat, der Dachorganisation der Interessenvertretungen, nominiert. Das Forum soll die Möglichkeit für Input und Feedback bieten.

² Am 8. und 9. April 2019 fand im Gartenbaukino in Wien das Symposium Freie Szene – Freie Kunst. Soziale Gerechtigkeit — Fair Pay. Konkrete Strukturen und Ideen für Wien statt.

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