Kulturleitbild … Sind wir im Bilde?

Beate Kegler informiert und schafft eine fundierte Diskussionsgrundlage.
Mit einem Comic von Stephan Gasser.

Was ist ein Kulturleitbild?

«Das Kulturleitbild ist neben dem Kulturfördergesetz eine der wenigen rechtlichen Grundlagen für öffentliche Kulturfinanzierung und bildet verbindliche Argumentationsbasen für Kulturschaffende», schrieb Klemens Pilsl, damaliger Geschäftsführer der KUPF, 2016 in der 160. Ausgabe dieser Zeitung.

Kulturleitbilder (KLB) dienen als Grundlage für die kulturpolitische Schwerpunktsetzung und auch für die Mittelverteilung der kommenden Jahre. Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als um das Aushandeln dessen, was das gesellschaftsgestaltende Miteinander in Stadt und Land prägen soll.

Wie entsteht ein Kulturleitbild?

KLB werden in aller Regel gemeinsam mit den Kulturschaffenden und der interessierten Öffentlichkeit einer Kommune oder Region entwickelt. Sie sind das Ergebnis beteiligungsorientierter Entwicklungsprozesse. Geplant, entwickelt und konzeptioniert wird das, was sich als Konsens der am Planungsprozess Beteiligten identifizieren lässt.

«Kulturplanung mit allen für alle» (Ploch/Petzinger 1991) – die Forderungen der einstigen «Neuen Kulturpolitik» der 1970er Jahre scheinen auch 2019 zum guten Ton derartiger Prozesse zu gehören. Parteiübergreifend wird hier auf eine Beteiligung der endogenen (also regional bereits vorhandenen) Akteur*innen und Akteurskonstellationen gesetzt. Kultur ist Gesellschaftsgestaltung, Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik.

Wie ist die Lage in Oberösterreich?

2007 startete ein erster KLB-prozess für Oberösterreich. 2009 lag das von und mit zahlreichenden Kulturschaffenden entwickelte Konzept als kulturpolitische Handlungsgrundlage vor. Das partizipative Leitbild galt als Auftakt zu einer akteurszentrierten Kulturpolitik, die sich neben der Bewahrung des kulturellen Erbes, künstlerische Innovation, Vielfalt und Teilhabe auch in der Fläche auf die Fahnen geschrieben hatte. Vom gemeinsam erarbeiteten Ergebnis des Prozesses erwarteten sich die Beteiligten aus Politik, Verwaltung und Praxis Orientierung und eine mittelfristige Planungssicherheit für die Akteur*innen. Und immerhin: Als ein Ergebnis dieses Prozesses standen unter anderem klare Bekenntnisse gegen Rassismus und für die Relevanz migrantischer Kulturarbeit. Außerdem wurde die Bedeutung der freien Szene für die Gestaltung von Gesellschaft und ihre Rolle in der Regionalentwicklung verschriftlicht – selbst wenn sich dann am Ende die konkreten förderpolitischen Maßnahmen im Wesentlichen auf die landeseigenen Einrichtungen, Neubauten und Erweiterungen dieser konzentrierten. Das Amt der oberösterreichischen Landesregierung fasst das so zusammen: «In dem über zwei Jahre dauernden Diskussionsprozess (Februar 2007 – Juni 2008) entstand auf dieser Basis ein Kulturleitbild Oberösterreich, das Leitlinien, Schwerpunkte und Visionen für die Kulturarbeit der nächsten 15 Jahre skizziert.» (2009:48)

Neu ordnen?

Kaum sind zehn dieser 15 Jahre verstrichen, scheint der Konsens über das, was 2009 als Leitbild beschlossen wurde, nun nicht mehr zu dem zu passen, was die Oberösterreicher*innen unter ‹ihrer Kultur› verstehen. Es sei «Bilanz zu ziehen und das kulturelle und künstlerische Geschehen im Land neu zu verordnen», beschließt Landeshauptmann Thomas Stelzer und gibt zu bedenken, dass das «Oberösterreich von 2019» nicht mehr zu vergleichen sei mit dem einstigen von 2009.

Man mag mutmaßen, dass demografische Veränderungen, Digitalisierung und die veränderten politischen Gegebenheiten gemeint sind. Wenn schon 2016 gemunkelt wurde, dass «die erstarkte FPOÖ […] das Kulturleitbild, ebenso wie das Integrationsleitbild, am liebsten ganz neu aufstellen oder gar abschaffen» (Pilsl 2016:5) wolle, so hinterlässt das unerwartet verordnete Neudenken über das, was die Kultur Oberösterreichs ausmacht und benötigt, doch ein gewisses Unbehagen. So bleibt das KLB für alle Akteur*innen eine rechtliche Grundlage und Argumentationsbasis. Wenn noch dazu bei der ersten Auftaktveranstaltung des Kulturleitbildprozesses keine nennenswerte Reaktion des Landesvaters auf die Nominierung des rechtspopulistischen Malers «Odin» Wiesinger seitens der FPÖ erfolgt, verstärkt sich dieses Unbehagen.

Kultur, Heimat und Beteiligung

Immerhin: Im gemeinsamen und mehrstufigen Prozess soll all jenen eine Beteiligungsmöglichkeit am Entwicklungsprozess des neuen Leitbilds eingeräumt werden, die sich als Akteur*innen der Kulturlandschaft Oberösterreichs verstehen. Diese Chance gilt es zu nutzen, um die demokratischen Werte und die Freiheit der Kunst wiederum als zentrale Leitlinien zu setzen. Wurde durch die massiven Mittelkürzungen der türkis-blauen Regierungskoalition die ohnehin prekäre Lage der freien Szene noch einmal erheblich verschlechtert, so muss nun im Prozess Klarheit darüber vermittelt werden, dass die gesellschaftsgestaltende Impulssetzung und kontinuierliche Basisarbeit ohne entsprechende Bestandssicherung nicht umsetzbar ist. Wenn den Absichtserklärungen keine Mittelzuwendungen zur Verfügung stehen, wird ein Leitbild zur Farce, werden partizipative Prozesse zum Hohn.
Und ja, es darf und soll diskutiert werden über das, was Leitbild und Handlungsempfehlungen für Kunst und Kultur Oberösterreichs in den nächsten Jahren darstellen sollen. Wie lange die Mindesthaltbarkeit des neuen Kulturleitbilds (KLBneu) und damit der darin getroffenen Vereinbarungen gelten mag, ist im wandelfähigen Oberösterreich vermutlich kaum vorhersehbar.

Ein erster Aufschlag ist gemacht. Am 13. Mai 2019 formulierten Akteur*innen der freien Szene in einem offenen Brief an Landeshauptmann Thomas Stelzer ihren Vorschlag für die zentralen Aussagen des KLBneu:

«Ein neues Kulturleitbild muss ein ganz klares und glaubwürdiges Bekenntnis zu einer demokratischen, offenen, inklusiven Kulturpolitik enthalten, die alle rechtsextremen, identitären Kultur- und Heimatbilder, die sich aus einer Geisteshaltung ableiten, von der Österreich 1945 befreit wurde, eindeutig ablehnt.» (Hackl 2019; siehe auch S. 8 in dieser Ausgabe)

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Beate Kegler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Im Schwerpunkt lehrt und forscht sie zur Kulturpolitik, Kulturarbeit und Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen.

Stephan Gasser ist freischaffender Künstler in Linz.

Literatur

Amt der Oö. Landesregierung, Linz 2009

Hackl, Wiltrud Katharina/Humer, Verena et al (2019): Causa Odin Wiesinger: Offener Brief an LH Stelzer. Presseaussendung der
gfk oö und der Kulturplattform Oberösterreich vom 13. Mai 2019

Pilsl, Klemens (2016): The Rise and Fall of the Kulturleitbild OÖ. KUPFzeitung 160

Ploch, Beatrice/Zens-Petzinger (1991): Kulturentwicklungsplanung für eine Kleinstadt: Analyse, Bewertung, Konzept. Ein kultur­ anthropologischer Vorschlag. Frankfurt am Main

Leseempfehlung der Redaktion

Beate Kegler, Daniela Koß, Wolfgang Schneider (Hg*innen), Vital Village. Entwicklung ländlicher Räume als kulturpolitische Heraus­forderung, transcript 2018, ISBN 978-3-8376-3988-9, 380 Seiten.

Mit mehreren Texten von Beate Kegler zu ländlicher Kulturarbeit in Europa sowie dem Beitrag KUPF in den Regionen. Die Welt kann man auch am Land retten von Klemens Pilsl, KUPF-Vorstand und ehem. stv. KUPF-Geschäftsführer.

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