Interkultur – Ein Buch wie ein Faustschlag

Armin Kremser über das neue Buch von Mark Terkessidis

 

Bücher, die betroffen machen gibt es in zwei Kategorien. Die erste ist jene, wo die Betroffenheit durchschlägt ob der Tatsache, dass es anderen ganz schlecht geht und sich die Leserin in Mitleid suhlen kann. Die zweite Kategorie ist viel unangenehmer. Die Betroffenheit resultiert hier nämlich aus dem Umstand, dass das Thema die Leserin selbst betrifft bzw. sich die Leserin genau der angeprangerten Umstände verdächtig gemacht hat.

Interkultur von Mark Terkessidis gehört – zumindest für all jene, die schon vor 2000 freie Kulturarbeit gemacht haben – in die zweite Kategorie.

Mark Terkessidis, Autor, Journalist und Migrationsforscher, setzt sich seit Jahre mit Themen wie Migration und Rassismus auseinander (z.B. Fliehkraft, 2006 gemeinsam mit Tom Holert oder Die Banalität des Rassismus, 2004). In Interkultur geht es ihm darum, vermeintlich taugliche Konzepte der Integration und des Mulitkulturalismus zu hinterfragen bzw. diesen eine klare Absage zu erteilen. Der Multikulturalismus linker Prägung hat ausgedient. Über diesen – lange Zeit als Problemlösung für Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gehandelt – schreibt Terkessidis: „Die stelle man sich vor wie ein Stadtteilfest mit Würstchen, Falafel und Cevapcici – als unverbindlichtolerantes Nebeneinander.“ Nicht wenige (Kultur-)Vereine haben das über die Jahre praktiziert und gelebt. Auch der Begriff der Integration erfährt von Terkessidis in seinem – von einem angenehm nichtakademischen Stil dominierten – Buch eine Abfuhr. Integration, so Terkessidis, bedeutet immer, da es von der Mehrheitsbevölkerung kommt, Angleichung und die Unterwerfung unter Normen. Diese Normen sind aber zumeist willkürlich und verallgemeinernd und werden vom Gros der Mehrheitsbevölkerung selbst nicht erfüllt. Mit solchen Konzepten in der Tasche ist das Scheitern vorprogrammiert.

Terkessidis schlägt also das Programm „Interkultur“ vor. Wohlgemerkt ist er nicht der Urheber dieser Idee, aber sein Verdienst ist es – soviel sei auch schon vorweggenommen – eine Art Handlungsanleitung verfasst zu haben, was alles möglich wäre. Interkultur setzt nicht bei den Individuen an, versucht nicht vermeintlich vorhandene Mentalitäten zu ändern bzw. anzupassen. Interkultur setzt mit Terkessids bei einem Umbau der Institutionen an. Beginnend bei Bildungseinrichtungen über Kulturinstitutionen hin zu Behörden wie der Polizei fordert und beschreibt Terkessidis die Möglichkeiten, die in und mit einem Umbau verbunden wären.

Längst muss die Diversität der Bevölkerung anerkannt werden und dieser Rechnung getragen werden. Deutschland hat sich immerhin schon dazu bekannt, ein „Einwanderungsland“ zu sein. In Österreich sprechen wir noch immer vom geregelten Zuzug von Schlüsselarbeitskräften. Die Polis – so einer der springenden Punkte in „Interkultur – verstanden als Konstrukt einer sesshaften und damit auch Rechte erwerbenden Gesellschaft hat aber ausgedient. „Die Steuerungsfähigkeit der Regierungen, ob nun auf der kommunalen oder der nationalen Ebene, hat im Zuge der Privatisierung abgenommen.“ Terkessidis verwendet daher den Begriff der „Parapolis“. Innerhalb der Parapolis – jener „Vielheit die sich nicht zusammenfügen lässt“ (Lyotard) ist auch der Einfluss kommunaler, staatlicher Instanzen schwindender. Und hier greift auch das Vorhaben, die Institutionen in die Pflicht zu nehmen.

Terkessidis fordert einen Umbau der Institutionen, um „Barrierefreiheit“ herzustellen. Dafür müssen – selbstredend – die materiellen Mittel oder eben der Personalstand analysiert und verändert werden. Es geht im Programm Interkultur – ganz simpel gesagt – darum, „Selbstverständlichkeiten“ herzustellen.

Selten hat ein Buch so betroffen gemacht. Vielleicht auch deshalb, weil die Lösung keine Schnelle ist (darum wird sie für parteipolitisches Kleingeld auch nicht verwendet). Der Umbau von Institutionen braucht Kraft und Zeit. Diese müssen vorhanden sein, oder sie müssen in Anspruch genommen werden, wenn es gelingen soll, am Programm Interkultur mitzuarbeiten. So wie Terkessidis abschließend schreibt: „Doch in der Parapolis gibt es keine gemeinsame Vergangenheit mehr. […]Was existiert, ist die gemeinsame Zukunft. Es ist egal, woher die Menschen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Polis aufhalten, kommen und wie lange sie sich dort aufhalten. Wenn erst einmal die Zukunft im Vordergrund steht, dann kommt es nur noch darauf an, dass sie jetzt, in diesem Moment anwesend sind und zur gemeinsamen Zukunft beitragen.“

Mark Terkessids; Interkultur; edition suhrkamp; 220 Seiten; ISBN: 978-3-518-12589-2

Armin Kremser, lebt und arbeitet in Wien, Linz und versteht als Privatperson facebook nicht.

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