DAKAR, Cité en Mouvement

Sandra Krampelhuber und Philipp Kroll über Dakar, eine Stadt in Bewegung

 

Dakar, Hauptstadt von Senegal, westlichste Stadt Afrikas, 1857 gegründet, geschätzte 3 Millonen Einwohner in der gesamten Metropolregion, Jahresdurchschnittstemperatur 27 Grad, bekanntester Star Youssou N’Dour, populärste Musik Mbalax, verbreitetste Religion Islam, Hauptsprachen Wolof und Französisch, Nationalgericht Thieboudienne, geschätzte 2000 Rapperinnen.

Dakar ist eine Stadt mit vielen sich stetig verändernden Gesichtern. Dakar ist elegant, Luxus spielt hier eine Rolle und wird gerne zur Schau gestellt. Die Stadt erlebt einen regelrechten Bauboom, an der Küste werden mehr und mehr Luxusapartments errichtet, sie wächst aber auch in die Peripherie mit bezahlbareren Wohnungen für die Mittelschicht, die es sich nicht mehr leisten kann in den zentraleren Vierteln zu wohnen. Dakar ist eine Stadt der Gegensätze, stark vom Islam geprägt prallt Tradition auf Moderne. Von Ngor bis Ouakam, von Sacré Coeur bis Point E, von der Medina bis Centre Ville sind nachts bis in die frühen Morgenstunden die mit Lautsprechern verstärkten, oft frenetischen Predigten der Muezzins zu hören, während sich die urbane Klientel ins Nachtleben wirft. Untertags treffen Männer in violetten, weißen, gelben, grünen, blauen oder goldenen Boubous aus den feinsten Damaststoffe(die edelsten Stoffe kommen übrigens aus Vorarlberg) auf Männer im Businessanzug und Jugendliche in Baseballcaps, Sneakers und Baggypants. In Dakars verkehrsüberlasteten Strassen bahnen sich Business Ladies im eleganten Zweiteiler neben traditionell in bunte Wax Stoffe gekleideten Frauen und gertenschlanken jungen Mädchen in engen Jeans und knappen Tops ihren Weg zu ihrem nächsten Geschäftstermin, vorbei an am Gehsteig betenden Muslimen. Benzin fressende SUV’s, klapprige gelbe Taxis (Hauptverkehrsmittel in Dakar für jene die es sich leisten können), bunt bemalte „Alhamdoulillah” und „Dakar Dem Dik” Busse (dem dik zu deutsch: hin und zurück), vereinzelte Pferdekutschen – die „Metro Africain”, gelegentlich auch Jugendliche auf Rollerblades und immer wieder Schafe, teilen und besetzen die sandigen Strassen von Dakar.

Natürlich ist auch die Armut omnipräsent, Frauen mit kleinen Kindern, körperlich Behinderte, Gelähmte, Menschen ohne Unterleib, Alte, von Lepra Verstümmelte, elternlose Kinder – sie alle schlafen, essen, betteln, leben in den Strassen von Dakar. Sie sind die Unsichtbaren der Gesellschaft, allgegenwärtig und doch unbeachtet, man gewöhnt sich an sie, sieht durch sie hindurch, nur manchmal versucht man sich in ihre Lage zu versetzen und geht rasch weiter, um dieses Elend nicht zu spüren. Sie gehören zum Inventar der Stadt, kleine Almosen werden verteilt, die mit beschämend freundlichen und dankbaren Gesichtern entgegengenommen werden. Von der Corniche aus, der Küstenstrasse der Hauptstadt, gleich gegenüber der Université Cheikh Anta Diop, lässt sich jeden Abend das selbe Schauspiel beobachten, viele hunderte von Sportbesessenen trainieren bei Sonnenuntergang am Strand um ihrem Ziel näher zu kommen, gutes Aussehen ist wichtig in Dakar und viele Jugendliche träumen von einer Karriere als „lutteur” (traditionelle Ringer), im höchst lukrativen Nationalsport Senegals. Die Mädchen ihrerseits streben wie andernorts eine Karriere als Topmodel an, der Rest tendiert auf Grund der hohen Einkommen zum Amt der Politikerin in einem der über 30 Ministerien. Noch vor einigen Jahren war es der Traumberuf vieler, Rapperin zu werden, doch da hier die Verdienstchancen momentan eher gegen null tendieren, bleiben die Topstars des Hip Hop, die Anfang der 90er Hip Hop in Westafrika bekannt machten, weiterhin an der Spitze ohne ihre Nachfolge gesichert zu sehen. Eine gewisse Frustration macht sich breit, das rund um das Jahr 2000 so starke Miteinander und Zusammengehörigkeitsgefühl, das „für ein gemeinsames Ziel kämpfen“ droht auseinanderzubröckeln. Damals galt es, so viele junge Menschen wie möglich zur Wahl zu bewegen um den 20 Jahre herrschenden Präsidenten Abdou Diouf abzuwählen. Es gelang, und die vielversprechende Ära des „Sopi” (Veränderung in Wolof) konnte beginnen, doch die Versprechen des neuen bis heute amtierenden Präsidenten Abdoulaye Wade wurden nicht gehalten, vieles ist beim Alten geblieben, zu seinen jüngsten Verdiensten gehört der Bau des „Monument de la Renaissance Africaine”, einem von Nordkorea gebauten, übermächtigen, ca. 50 Meter hohen Monstrum aus Bronze mit einer Aussichtsplattform im Kopf einer der drei Statuen. Mit Kosten um rund 20 Millionen Euro soll sie nun als neuer „Tourismusmagnet” fungieren.

Tourismus ist generell eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes, speziell aus Frankreich und Belgien kommen viele Urlauberinnen an die langen Strände Senegals, seit ein paar Jahren wird nun Dakar vermehrt als Tourismusziel forciert, neue High Class Hotels schiessen aus den staubigen Böden entlang der Küstenstrasse und sollen die Hauptstadt für die betuchten Besucherinnen attraktiver machen. Speziell aus em arabischen Raum wird einiges an Geld nach Senegal transferiert, auch die Türkei bemüht sich um gute Beziehungen zu dem islamischen Land, Air Turkiye steuert jetzt zweimal täglich den Flughafen Léopold Sédar Senghor an, der vermutlich 2011 durch den neuen, circa 45 km von Dakar entfernten Flughafen Blaise Diagne abgelöst werden soll. Musik ist ein wesentlicher Bestandteil im Leben der Dakarois. Es gibt über die ganze Stadt verteilt schicke Clubs und Diskotheken, wo sich die VIP’s treffen und zu den neuesten Mbalax Tunes tanzen, aber auch zu kontemporärem House, Techno und Coupé Decalé. Mbalax ist der Pop Sound des Landes, ein mit vielen Trommeln ausgestatteter Uptempo Groove garniert mit mitsingtauglichen Texten zu deren wichtigsten Vertretern Youssou N’Dour zählt – Weltmusik Star, Besitzer einer Zeitung, eines Clubs, eines Studios und immer wieder als heisser Kandidat für die Präsidentschaftswahlen gehandelt. Zu diesem musikalischen Establishment sah sich die blühende Hip Hop Szene immer als Gegenpol, die Ende der 80er in Dakar erste Schritte unternahm und 1993 mit dem Debütalbum von Positive Black Soul auf dem internationalen Label Island Records ein erstes starkes Lebenszeichen von sich gab.

Soziales und politisches Engagement steht so immer noch an erster Stelle im senegalesischen Rap, in einem Land, wo das nach wie vor kolonial geprägte Bildungssystem besonders für die Mittellosen oft versagt, übernehmen die Rapperinnen die Rolle der Professorinnen. Didier Awadi, einer der Gründerväter des senegalesischen Rap hat 2009 ein Album mit dem Titel „Présidents d’Afrique” (www.presidentsdafrique.com) veröffentlicht, mit dem er weltweit auf Tour geht. Er verarbeitet darin berühmte Reden etwa von Martin Luther King, Malcolm X, Patrice Lumumba, Julius Nyerere, Leopold Sedor Senghor, Frantz Fanon oder Thomas Sankara, nachdem er auch sein Studio benannt hat und dessen Parole „Oser inventer l’avenir” (sich trauen die Zukunft neu zu erfinden) auch zu Didier Awadis Leitspruch geworden ist. In seinem Studio Sankara nehmen die wichtigsten Rapgrössen des Landes und Westafrikas ihre Alben auf, doch das meiste Geld verdient er mit seinem Videostudio, das auf Commercials und Musikvideos spezialisiert ist. Multitasking ist mangels ausreichender Kulturförderung in Senegal überlebenswichtig, kaum eine Künstlerin, die nicht in den verschiedensten Disziplinen tätig ist.

Die Kulturszene in Dakar ist ein eingeschworener Kreis, man kennt sich und beherrscht die Kunst des Socializing auf angenehm unkonventionelle und sympathische Art und zufälliges, flüchtiges über den Weg laufen kann zu abendfüllenden Unterhaltungen führen.

Dakar wird immer auch wieder als Modemetropole Afrikas bezeichnet und es stimmt, Dakar hat seine eigene Fashion Week und das ganze Jahr über finden Modeschauen für jede Klientel statt, von Haute Couture bis Urban Street Wear. Oumou Sy ist die international bekannteste Designerin, doch seit einigen Jahren gibt es eine junge Generation von Designerinnen wie z.B. Selly Raby Kane, Cheikha/ Label Sigil, Baay Sooley/ Label BullDoff, Ndiaga Diaw/ Label Fitt, die mit ihren Kreationen zumindest landesweit für Furore sorgen.

Auch im zeitgenössischen afrikanischen Tanz ist Dakar bedeutsam, Andreya Ouamba/Cie 1re Temps beispielsweise veranstaltet neben seinen eigenen international eingeladenen Stücken, regelmässige Workshops mit westafrikanischen Tänzerinnen, zuletzt gemeinsam mit dem kenianischen Choreographen Opiyo Okach. Trainiert wird meistens in den Räumlichkeiten des Centre Culturel Blaise Senghor (CCBS), hier beginnt ab Dämmerung das Training in mehreren Räumen und Innenhöfen, zwischen traditionellem und kontemporärem Tanz sind junge Frauen und Burschen mit dem Feilen an Choreografien beschäftigt. Aber auch Breakdance wird in Dakar exerziert, B-Boy Ben J von den Crazy Elements ist einer der Besten Afrikas und war auch schon beim renommierten BC One Battle eingeladen. Alle 2 Jahre findet das von der Assoziation Kaay Fecc organisierte „Festival International de Toutes les Danses” (http://www.kaayfecc.com/) statt, das Tänzerinnen aus allen Teilen Afrikas aber auch dem Rest de Welt am Programm stehen hat, von Contemporary Dance hin zu Breakdance wird hier alles geboten, 2011 findet die nächste Ausgabe statt.

Ebenso alle zwei Jahre findet die Dak’Art, die Biennale de L’Art Africain Contemporain statt (www.biennaledakar.org), so auch dieses Jahr. Neben den drei Hauptausstellungen der Dak’Art im IFAN Museum, der Nationalgalerie und der Galerie le Manège des Institut Francais im Zentrum von Dakar wurden mit der Dak’Art OFF alle Viertel der Stadt miteinbezogen, hunderte Ausstellungen in Hinterhöfen, Ateliers und Privatwohnungen wurden in der gesamten Metropole präsentiert. Zu den beeindruckendsten Arbeiten zählten jene der Ausstellung Toguo/Cissé in der Galerie le Manège von Barthélémy Toguo (Kamerun) und Soly Cissé (Senegal). Zentraler Bezugspunkt der beiden Künstler sind die unmittelbaren Themen der Migration, schon im Garten der Galerie steht ein typisches Pirogenboot auf dem bunte Stoffbündel hoch gestapelt sind, synonym für die gefährlich überladenen Flüchtlingsboote die über den Atlantik in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ihren Weg nach Europa suchen und vielfach daran scheitern. Gleich daneben an der Außenmauer der Galerie sind dann auch ca. ein Duzend Särge aufgereiht.

Auch der bei der Dak’Art vertretene senegalesische Künstler Papa Amadou Khoudia Tounkara (www.tounka.com), der in Tokyo lebt und arbeitet, thematisiert mit seiner Malerei die menschenunwürdigen Lebensumstände von Migranten in Europa. Seine Bilder tragen bezeichnende Titel wie „Boat People- Depending Independence”, „Alien Nation:Sans Papier” oder „Grave of the Unknown Immigrant”. Neben der Malerei widmet Amadou Tounkara einen grossen Teil seiner Arbeit dem Färben von Stoffen, der Batik, er ist unter anderem auch Absolvent des Bunka Fashion College in Tokyo.

Wie so oft in Dakar verschwimmen die Grenzen der einzelnen schubladisierten Kunstrichtungen, während seines Heimataufenthalts in Dakar arbeitete Amadou Tounkara auch im Atelier von Modedesigner und Stylisten Cheikha/ Sigil, das er sich u.a. mit Baay Sooley – Hip Hop und Reggae Musiker, Modedesigner, Tänzer und Choreograph mit eigener TV-Show – teilt. „Art is an Elastic Sort of Love” (Josephine Baker) steht in grossen Lettern im Innenhof des Ateliers, elastisch sind auch die Grenzen des Ateliers, für Cheikha und Baay Sooley ist es nicht nur Show Room und Arbeitsstätte, sondern auch Ort des künstlerischen Austauschs, der Ideenfindung im weiten Feld der Kunst, Mode und Musik. Cheikha bekannt für seine tragbaren Kreationen aus Jeansstoffen, in letzter Zeit auch vermehrt mit Wildleder, designt aber auch Möbel, kümmert sich um das Outfit und um die Bühneshow der HipHop Stars Daara J und ist kreativer Jungstar der Stadt. Sein Partner Baay Sooley entwirft „Urban Streetwear with a Twist”, bei seiner letzten Modeshow im Juni im British Council kombinierte er Marinelook – er taufte diesen Stil „Submarine” – mit engen Silhouetten für die Damen und komfortabler geschnittenem Baggystyle für die Jungs und Männer in den Farben blau, weiss, rot und gelb. Im Verlauf des Abends trafen dann B-Boys auf traditionelle Tänzerinnen, Breakbeats auf Koras und Balletteusen auf Streetpoetry.

Im Gegensatz zu den 90ern wollen die Künstlerinnen ihr Glück nicht mehr nur im Ausland suchen, man erkennt den Willen im eigenen Land etwas Substantielles und Nachhaltiges zu entwickeln und schaffen, allen Widrigkeiten und finanziellen Hürden zum Trotz. Ein für Dakar passendes Bonmot fiel von Andreya Oumaba an einem lauschigen Abend im Juni bei Gazelle Bier und Wein: „Das Leben ist schön auch wenn es oft schwierig ist. Der Rest sind die Details…”

Philipp »Flip« Kroll ist stadtgefürchteter Rapper, Kapuvorsitzender und vieles mehr. Sandra Krampelhuber studierte Ethnologie und arbeitet im weiten Feld der Kultur. Regisseurin der Musikdokumentation „Queens of Sound”, Kuratorin des 1. Kapu Film Festivals „From Kingston to Kinshasa” 2010.

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