Romantisches Raven mit den Zapatistas

„Goodbye Tristesse“ von Camillo de Toledo hat Klemens Pilsl für Sie gelesen.

„Goodbye Tristesse“ ist ein etwas misslungener Titel. Im französischen Original heißt das Buch „Archimondein Jolipunk“ (etwa »sehr mondäner, schöner Punk«), aber auch das hilft nicht weiter. Hinter dem kryptischen Titel verbirgt sich ein zugleich wütendes und romantisches Pamphlet, ein Antimanifesto einer Generation. Inhalt: die Revolte.

Den Weg zu neuer Revolte sucht Camille De Toledeo unter Verwendung zahlreicher Quellen der aktuellen und ehemaligen Linken, von Albert Camus zu William Gibson, von Guy Debord über Michael Focoult zu Gilles Deleuze. Er beschreibt den (post-?)modernen Kapitalismus („Eintritt des Kapitalismus ins Stadium der Rebellion“), und unterstellt den Resten der Linken zurecht, eine zynische „Ästhetik der Resignation“ entwickelt zu haben. Liebevoll und enttäuscht zugleich beschreibt der Autor die Gegenwart und das Versagen der Linken. Er beschreibt die Verflüssigung, die Übernahme und das Verschwinden unserer Körper, sogar unseres Begehrens. Und er beschreibt die Unsichtbarwerdung des Feindes: die WTO tagt in der Unerreichbarkeit der Wüsten von Katar und die G8 treffen sich auf schwimmenden Festungen, um sich den Protesten der Bewegungen zu entziehen. An diesem Punkt erreicht die Resignation ihren Höhepunkt.

Doch das eigentliche Ziel des Buches ist es, Hoffnung zu geben. Autobiographisch: der Autor beschreibt, wie er selbst die Ästhetik der Resignation überwindet. Der Aufschrei aus dem Lakandonischen Urwald rüttelt ihn wach, die Poesie der Zapatistas erscheint ihm wie vielen seiner Generation als Weckruf und eben Hoffnungsschimmer. Die Tragik und Unbesiegbarkeit des Sub und seiner Maske inspirieren ihn zu neuem Mut. Theoretischen Rückhalt findet er dann u.a. im Konzept der „Temporären Autonomen Zonen“ (vgl. Hakim Bey), das seit Beginn der 1990er durch die Köpfe der undogmatischen Linken spukt, aber auch in den verwandten Argumentationen und Praxen der postoperaistischen Tute Bianche und der englischen Reclaim- TheStreets-AktivistInnen.

Das Buch kategorisch oder inhaltlich einzuorden fällt schwer: weder ist es ein wilder Aufruf noch eine verächtliche Kritik, es ist irgendetwas dazwischen und noch viel mehr. In poetischer Sprache und unter Verwendung autobiographischer Eckdaten schildert De Toledo das Versagen der Ideologien, des Realsozialismus, der Subkulturen und der Kunst. Und stellt sich selbst und seine Generation als Betroffene in die Mitte: wie soll man revoltieren, wenn der Kapitalismus die Fähigkeit entwickelt hat, alles aufzusaugen und zu verwerten: Che Guevara und Punk treiben die Profitraten der Konzerne in die Höhe, an die Wand gesprühte Parolen werden von Sportschuhfirmen als Werbeslogans verwendet. Statt Widerstand bleibt nur noch Zynismus, und damit will sich der Autor nicht abfinden. De Toledo schafft es, Ecstasy, Reclaim The Streets, die EZLN und FreeTechno in einen politischen Kontext zu stellen. Er weint um Carlo Giuliani, ohne die Proteste, die dessen Tod mittlerweile symbolisiert, zu verklären. Und auch wenn er kaum wirklich Neues vorbringt, hat er dennoch ein wunderschönes, radikales und letztendlich ungewöhnlich romantisches Buch geschrieben. Womit er den Zeitgeist trifft. Wer das Gefühl hat, sich der zynischen Ästhetik der Resignation hingegeben zu haben, ist mit diesem Buch bestens beraten.

Camillo de Toledo (Jahrgang 1976) französischer Intellektueller, Aktivist und Künstler, der spätestens 2002 in Cannes Aufmerksamkeit erregte: sein Kurzfilm „Tango de Olvido“ begeisterte. De Toledo entspringt einer französischen Großindustriellenfamilie (u.a. Danone), dieser verdankt er auch seinen Werdegang in jungen Jahren: Elitegymnasium, Eliteuniversitäten, Elitedenken. Er verweigert jedoch ohne großen Pathos die Familientradition und bricht aus: er gründet eine Literaturzeitschrift, die schnell scheitert, beginnt ein Nomadenleben rund um den Globus. Er ist künstlerischer und intellektueller Vertreter der „neuen Bewegungen“ und undogamatischen Linken jenseits von Ideologien und kommunistischen Parteien. 2002 erschien sein Buch „Archimondein Jolipunk“, der die französischen Bestsellerlisten eroberte. Drei Jahre später, im Herbst 2005, erscheint das Buch in deutscher Sprache.

Klemens Pilsl ist Mitglied der KAPU in Linz.

Camille de Toledo: Goodbye Tristesse Deutsch von Jana Hensel, Tropen Verlag 192 S.,EUR 19,40 ISBN 3-932170-76-8

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