Schöne neue Arbeitswelt.

Andrea Mayer-Edoloeyi über den Wahnsinn der 1-Euro-Jobs

 

Deutschland zeigt uns, wie es weitergeht im Abbau des Sozialstaates. Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden zusammengelegt, damit wird es für länger erwerbsarbeitslose Menschen noch schwieriger. Wie in Österreich geht es darum, die Sozialkosten zu senken, um auf dem Weltmarkt zu bestehen und die befürchtete Abwanderung der Industrie zu verhindern: Sozialverzicht schafft Arbeitsplätze.

Das deutsche ALG II beträgt nach Hartz IV 345 Euro (West) und 331 Euro (Ost) im Monat, zusätzlich werden angemessene (!) Wohn- und Heizkosten übernommen. 1-Euro-Jobs sollen entstehen, d.h. Menschen bekommen einen Euro mehr als die Sozialleistung und sollen dafür in gemeinnützigen Bereichen arbeiten.

Ein Berliner Unternehmer möchte 20.000 Menschen über Ein-Euro-Jobs nach Hartz IV in einem zweijährigen Projekt zur Digitalisierung von Kulturgut einsetzen. Die deutsche Kulturstaatsministerin nimmt den Vorschlag so ernst, dass sie 33 Verbände zur Prüfung aufgefordert hat. Der Kulturbereich sei, so manche Stimmen, das ideale Betätigungsfeld für „Ein-Euro-JobberInnen“: Zu wenig Geld, um alle Aufgaben bewältigen zu können und zudem oftmals als gemeinnützig anerkannt, eine wichtige Voraussetzung um Menschen in Ein-Euro-Jobs nach Hartz IV beschäftigen zu dürfen. Deshalb war es nicht überraschend, dass der Berliner Kultursenator schon vor Monaten den Vorschlag machte, das Bewachungspersonal in Museen durch Ein-Euro-Kräfte zu ersetzen.

Im Kulturbereich ist in Österreich wie in Deutschland der Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nichts Neues, hierzulande war es in den 1980-er-Jahren die „Aktion 8000“, später dann einzelne Initiativen wie „Newstart“ und „Comeback“. Ohne diese Förderungen für Jobs hätten beispielsweise viele Kulturstätten nie ihren Betrieb aufnehmen und aufrecht erhalten können. Gleichzeitig ist es aber schwierig, mit solchen, meist auch befristeten Jobs tragfähige Strukturen für die kulturelle Arbeit mit dauerhaft angestellten und vernünftig honorierten Beschäftigten im ersten Arbeitsmarkt zu entwickeln. Denn die GeldgeberInnen sind bekannt zurückhaltend, wenn es um die Finanzierung ausreichend dotierter Arbeitsverhältnisse über einen längeren Zeitraum geht.

Zurück zum Vorschlag der Digitalisierung deutschen Kulturguts: Aus den 20.000 Ein-Euro-DigitalisiererInnen, die maximal 9 Monate beschäftigt werden dürfen, werden summa summarum fast 27.000 Digitalisierer in Jahr. Macht in fünf Jahren 135.000 Menschen, die nur über dieses Projekt in den ersten Arbeitsmarkt Kultur gebracht werden sollen. Da ist der kurzfristige Kulturarbeitsmarkt-Hype, den die Kulturhauptstadt Graz 2003 gebracht hat und den vielleicht auch die Kulturhauptstadt Linz 2009 bringen wird, wohl nichts dagegen!

Was wird aus den Menschen? Diese Frage wird nicht mehr gestellt. Arbeitslose sind eine beliebige Verschubmasse, auch in Österreich wurden die Zumutbarkeitsbestimmungen, d.h. welche Arbeit angenommen werden muss, verschärft. Ich-AGs, die gesetzlich legitimierte Scheinselbstständigkeit werden propagiert. In Frankreich wird die mühsam erkämpfte 35-Stunden-Woche wieder in Frage gestellt und überall dominiert die Logik des Freien Marktes als einziges Denkprinzip.

Eine andere Politik muss wieder möglich werden: Strukturen sozialer Sicherheit für alle und Kultur (und natürlich auch andere gesellschaftlich relevante Bereiche) als Investitionen der öffentlichen Hand in eine gedeihliche Zukunft. Wer soll das bezahlen? Reden wir mal über Privatstiftungen, die gerade erfolgte Senkung der Körperschaftssteuer für Unternehmen und Ausgaben für die EU-Militarisierung. Hintergrundinformationen des Deutschen Kulturrates zum Streit um die 20.000 Ein-Euro-Job-Digitalisierer im Kulturbereich : http://www.kulturrat.de/themen/ein-euro.job.htm

Andrea Mayer-Edoloeyi

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