von Phillip Hautmann
Die Geschichte vom großen Krakeel zwischen IwaИ IwaИowiTscЊ und IwaИ NiКofiЯowiTscЊ heißt eine Erzählung des gewaltigen Charakterzeichners Gogol in seinem frühen Band Mirogod, eines fiktiven russischen Dorfes das, wie immer bei Gogol, stellvertretend für ganz Russland bzw. überhaupt das gesamte Menschheitsdorf gesehen werden kann.
Darin wird in humorvoller Weise geschildert, wie sich zwei äußerlich honorige, innerlich aber etwas unbeholfene befreundete Bürger aus der besseren Gesellschaft aufgrund einer lächerlichen Geringfügigkeit und im Zuge einer sehr rasch folgenden Eskalationsspirale bis aufs Blut zerstreiten und dabei ganz Mirogod vor den Kopf stoßen. Ich denke immer wieder gerne an diese Novelle, wenn ich mir philosophische Gedanken zum Thema „Was eigentlich ist der Mensch?“ mache – und fühle mich auch unweigerlich daran erinnert,wenn mir jemand von den Begebnissen aus einem Örtchen in der Nähe von Freistadt erzählt.
Weitersfelden ist ein Ort im Mühlviertel nahe der tschechischen Grenze mit 1051 Einwohnerinnen. Zumindest zwei Weitersfeldner haben es geschafft, über die Grenzen Ihrer Gemeinde hinaus bekannt zu werden, und zwar zum einen der Kulturvereinsbetreiber John Tylo aka Drago Torpedowicz aka Karl Katzinger, zum anderen Bürgermeister Franz Xaver Hölzl.
Tylo/Torpedowicz/Katzinger betreibt in seinem von seinen Großeltern ererbten Haus einen Kulturverein, der sich wiederum je nachdem Backwood/Backwood Associate/ Backwood Association (Culturelle) nennt und der schon einmal durch seine eigenwillige Selbstdefinition besticht: „Backwood Association ist ein auf den Bau der Pyramiden zurückgehender Kulturverein“. Eine ausführliche Definition dieser Definition findet sich nicht, es lässt sich rätseln, ob sich dahinter pharaonisch-megalomanische Eigensinnigkeit verbirgt (eine Deutung, mit der Tylos Gegner vielleicht gut leben können) oder aber eine sorgsame Stein-um-Stein-Aufbauarbeit, die sich im Rahmen eines beharrliches Denkens in größeren, universalgültigen Mustern versteht.
Die Aktivitäten Backwoods umfassen ein breites Spektrum und spannen sich zwischen dokumentarfilmerischen Reisen Tylos in die zweite und dritte Welt bis hin zu einem permanenten Workshop im „Sensenmähen und Dengeln“ auf. So sphinxhaft wie die Pyramiden- Eigendefenition erscheint die Frage, ob Backwood sich in seinen Aktivitäten als ein Labor des Fortschritts (im Rückschritt), des Rückschritts (im Fortschritt), der Beschwörung des Peripheren bzw. Hinterwäldlerischen oder aber, als öffentlicher Reibebaum, der Heraufbeschwörung hinterwäldlerischer und kleinkarierter Reaktionen einer sich als modern verstehenden Umwelt versteht – sofern man, was am Wahrscheinlichsten ist, sich mit einer derartigen Ableitung von allzuphilosophischen Metaaussagen nicht von vornherein auf dem Holzweg befindet, da schlicht und einfach keine intendiert sind. Auf jeden Fall bewegt sich Backwood nicht allein mit seinen Aktivitäten sondern auch mit der Knappheit der Mittel, aus welchen heraus es seine Aktivitäten zustande bringt, an den äußersten Rändern freier Kulturarbeit.
Dies, zumindest was die Knappheit der Mittel und die ideelle Unterstützung durch die Weitersfeldner Umwelt anlangt, jedoch nicht ganz freiwillig. Über die Jahre hinweg lässt sich eine Kette von Auseinandersetzungen zurückverfolgen zwischen Tylo und den örtlichen Behörden bzw. dem Bürgermeister Franz Xaver Hölzl, die auf Außenstehende etwas befremdlich wirkt und Züge eines persönlichen Kleinkrieges zu tragen scheint. Ursprünglicher Streitpunkt war, dass Tylos Haus, detto sein Kulturverein, nicht an die Kanalisation angeschlossen ist, weshalb ihm die Auflage erteilt wurde, das zu tun. Tylo antwortete mit dem Projekt „Kanale Vernetzung“ und, nachdem dieses abgeschmettert wurde, dem Folgeprojekt „Macht Demokratie ohne Jury“. Mediale Aufmerksamkeit erregte Anfang dieses Jahres das Verbot seines „Landler“- Tanzkurses durch die örtlichen Behörden: Über die Begründung, Tylo habe die Veranstaltung nicht ordnungsgemäß angemeldet, wurden die teilweise über viele Kilometer angereisten Teilnehmerinnen von der Polizei ausgesperrt – dementsprechend aufgebracht fielen die Reaktionen aus. Während sich Bürgermeister Hölzl auf die Veranstaltungsgesetze beruft, wollen es Tylo und seine Unterstützer nicht verstehen, wie „backwood“ die örtlichen Behörden sein müssen, das ohnehin karge lokale Kulturleben nach Möglichkeit auch noch zu unterbinden.
Wie auch immer. Ironischer Schluss von Gogols Erzählung ist, wie in Mirogod wieder Frieden einkehrt, indem die beiden Iwans aufhören, miteinander zu streiten sondern jeweils Prozesse gegeneinander anstrengen, die dann von den lahmarschigen Behörden bis ans Ende ihrer Tage verschleppt werden und als Aktenvermerke verstauben. Backwood hätte freilich etwas Besseres verdient. Seine Veranstaltungslocation nennt Tylo im Übrigen Garage Drushba. Also russisch für Freundschaft 😉
Philip Hautmann ist Autor und lebt in Wien,Sein Roman „Yorick – Ein Mensch in Schwierigkeiten“ ist vor Kurzem bei Trauma Wien erschienen.