Freiwillig, effizient, kostengünstig:

Über die Ökonomisierung des Ehrenamts schreibt Gabriele Michelitsch

 

Im Zuge neoliberaler Transformationsprozesse avancierte das Marktmodell zum zentralen gesellschaftlichen Organisations-, Regulations- und Entwicklungsmodus. Damit verbindet sich eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Steuerung werden auf Selbst-Management ausgerichtet, um ein auf „Eigenverantwortung“ fokussiertes Sozialmodell durchzusetzen. Dieses bildet den Bezugspunkt vor allem arbeitsmarktpolitischer Deregulierung und sozialpolitischer Leistungskürzungen. Gerade angesichts anhaltenden Sozialabbaus stellt Freiwilligenarbeit hierbei ein zunehmend unverzichtbares, mit öffentlichen Diensten meist eng verbundenes Element von Sozialpolitik dar.

Vor diesem Hintergrund artikuliert sich verstärktes politisches wie wissenschaftliches Interesse an Freiwilligenarbeit. Schließlich ermöglicht mehr Wissen verbesserte Anleitung und Lenkung ehrenamtlicher Arbeit und eröffnet damit weitere Optionen auf Entstaatlichung durch Verlagerung vorrangig sozial-, gesundheits-, bildungs- oder auch kulturpolitischer Aufgaben in den zivilgesellschaftlichen Bereich.

Freiwilligenarbeit, Staat und Ökonomie

Denn die Aufwertung von Freiwilligenarbeit zielt auf die Entwicklung einer auf Vertrauen basierenden „grundlegenden Kooperationskultur“ als „wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität, politisch-gesellschaftliche Stabilität und Lebensqualität“1. Freiwillige Arbeit soll fördern, was von Konkurrenz und Wettbewerb bestimmte, zunehmend flexible und projektförmige, auf kurzfristige Bindungen ausgerichtete Erwerbsarbeit ebenso wie reduzierte sozialstaatliche Leistungen nicht (mehr) leisten: gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern, „eine Atmosphäre der Solidarität, der Zugehörigkeit und des gegenseitigen Vertrauens“ schaffen und „die Verbundenheit und das Verständnis zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft, die Verlässlichkeit gemeinsam geteilter Regeln, Normen und Werte“ stärken. Die Förderung solcherart charakterisierten „sozialen Kapitals“ richtet sich dabei – grundlegende gesellschaftliche Widersprüche und Ausschlussmechanismen ausblendend – vorrangig auf ökonomische Verwertungsinteressen. Denn „auf gemeinsamem Engagement beruhende gesellschaftliche Netzwerke zwischenmenschlicher Vertrauensbeziehungen“ gelten als „Garanten wirtschaftlicher Prosperität und Motoren der Entwicklungsfähigkeit“, als Stimuli von Investitionstätigkeit und Wirtschaftswachstum sowie als Stabilisierungsfaktoren der Durchsetzbarkeit von Verträgen und Eigentumsrechten. Folglich sollen auch Unternehmen „stärker und bewusster als Akteure bürgerschaftlichen Engagements auftreten“. Im Hinblick auf verbesserte Arbeitsmarktchancen werden aber auch – etwa im ersten österreichischen Bericht zu Freiwilligenarbeit – durch Ehrenämter zu erwerbende Fähigkeiten und Kompetenzen propagiert.

Demokratie-Politik

Freiwilligenarbeit kommt demnach eine zunehmend systemerhaltende Funktion im von Kürzungen besonders betroffenen Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich zu. Dabei soll das Potential an Freiwilligenarbeit ausgeschöpft und diese möglichst effizient eingesetzt werden – zumal im Gefolge der Wirtschaftskrise hohe Arbeitslosigkeit, soziale Polarisierung und gesellschaftlicher Ausschluss den seit dem Jahr 2000 konstatierten Rückgang freiwilligen Engagements Einbindung in – an Erwerbsarbeit geknüpfte – soziale Strukturen und persönliche Netzwerke, Bildungsgrad und nicht zuletzt finanzielle Ressourcen bestimmen Zugangschancen zu formeller Freiwilligenarbeit entscheidend. Folglich manifestieren – und reproduzieren – sich auch im Bereich ehrenamtlicher Arbeit bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse, wie sie sich in sozialer Ungleichheit und Exklusion artikulieren. So leisten Männer etwa zwei Drittel formeller, Frauen etwa zwei Drittel informeller – gesellschaftlich weitgehend unsichtbarer nachbarschaftsbezogener – Freiwilligenarbeit. Aber auch der Bereich formeller Freiwilligenarbeit erweist sich im Hinblick auf Tätigkeitsfelder und Positionen als nach Geschlecht ebenso wie Migrationshintergrund hochgradig segregiert. Gesellschaftliche Partizipationschancen – und damit demokratische Grundlagen – lassen sich folglich nicht durch Freiwilligenarbeit gewährleisten. Inklusion, soziale Sicherung und gleiche Teilhabe aller Bürgerinnen stellen vielmehr nach wie vor zentrale Aufgaben wohlfahrtsstaatlicher Politik dar. Freiwilliges Engagement vermag diese nicht zu ersetzen, sondern bestenfalls zu ergänzen. Dessen Logik solidarischen Tätig-Seins für andere und damit oft verbundene – aus betriebswirtschaftlicher Sicht wohl „ineffiziente“ – basisdemokratische Auseinandersetzung stellen jedoch auch Grundlagen lebendiger Demokratie dar. In deren Sicherung jenseits von Profitinteressen und ökonomischen Imperativen besteht die zentrale politische Herausforderung. Dabei wäre, um Inklusion und Partizipation zu fördern, bei genereller Erwerbsarbeitszeitverkürzung und verstärkter Redistribution im Kontext von Steuer- und Sozialsystem, dem Ausbau von professionellen Pflegeund Betreuungsleistungen ebenso wie von Anti-Rassismus- und Anti-Sexismus- Arbeit anzusetzen. Nur so sind letztlich auch die für Freiwilligenarbeit notwendigen Rahmenbedingungen nachhaltig zu verbessern.

1 Dieses und die folgenden Zitate stammen aus dem Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags 2002.

Gabriele Michalitsch ist Politikwissenschafterin und Ökonomin, lehrt an der Universität Wien.

 

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