Armut ist bald in ganz Österreich verboten

von Christian Diabl Betteln ist eine unangenehme Sache. Vor allem für jene, die sich gezwungen sehen, diese Tätigkeit auszuüben. Die Ursachen sind vielfältig. Sie reichen von individuellen Schicksalsschlägen über Lücken im Sozialsystem bis hin zu strukturellen Folgen der kapitalistischen Marktwirtschaft. Manchmal ist es auch rassistische Diskriminierung, die Menschen zwingt, Grenzen zu überqueren und sich in wohlhabenderen Gefilden auf die Straße zu setzen. Viele bekannte Probleme also, für die es keine schnelle Lösung gibt. Österreich aber macht es sich einfach und will ein Phänomen verbieten, das so alt ist wie die Menschheit selbst. Die gewählte Strategie ist kurzsichtig, ineffizient und brutal. Sozialpolitischen Problemen wird mit ordnungspolitischen Maßnahmen begegnet. Altbekannt, oft ausprobiert und garantiert nie erfolgreich.

 

Der Mythos Bettelmafia

Salzburg, Tirol, Wien und die Steiermark haben diesen Weg bereits beschritten, Oberösterreich folgt nun. Während es in anderen Bundesländern ein absolutes Verbot gibt, bekommen wir aber – so ehrlich müssen auch die Kritikerinnen sein – eine Light-Version. Verboten wird aggressives, aufdringliches und organisiertes Betteln. Zudem Betteln mit Kindern. Letzterer Punkt hat die SPÖ dazu bewegt, gegen das Gesetz zu stimmen. Zum aggressiven Betteln ist zu sagen, dass es das laut Polizeidirektor Widholm in Linz gar nicht gibt. Außerdem sollte es mit „Nötigung“ und „Störung der öffentlichen Ordnung“ genug Handhabe dagegen geben. Kinder werden – zumindest solange es keinen Gratis- Kindergarten für Bettlerinnen gibt – wohl oder übel auch ab und zu dabei sein. Klar ist, dass das Verbot auf ausländische Bettlerinnen abzielt. Also jene Menschen, die aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten zu uns kommen und tageweise hier betteln. Organisiert natürlich – wie denn auch sonst. Menschen sind soziale Wesen und organisieren sich immer. Das Fatale an der aktuellen Debatte ist, dass Organisation fast automatisch mit Kriminalität gleichgesetzt wird. Über Jahre haben Boulevardmedien und Rechtsparteien den Mythos der „Bettelmafia“ aufgebaut. Die Story vom Paten, der nach einem langen anstrengenden Betteltag mit schwarzem Mercedes vorfährt und die Einnahmen abkassiert, bildet die Grundlage für die politische Durchsetzung der Bettelverbote. Wer also nichts gibt, oder sich sogar für ein Verbot einsetzt, tut nach dieser Erzählung sogar etwas Gutes, indem er die Ausbeutung für den Paten weniger lukrativ macht. Hass darf so unter dem Deckmantel der Gutherzigkeit rausgelassen werden. Die durchschnittliche Österreicherin hat ein sehr konkretes Bild, wie eine Bettlerin auszusehen und sich zu verhalten hat: Einheimisch, unterwürfig und katholisch. Abseits dieses Bildes (das es kaum noch gibt) fehlt die Akzeptanz völlig. Doch wer sind diese Leute?

In erster Linie kommen Bettlerinnen aus der Slowakei, Rumänien oder Bulgarien nach Österreich. Sie gehören vor allem den Minderheiten der Roma und Sinti an und bilden die unterste soziale Schicht in ihren Heimatländern. Von nationalstaatlichen Grenzen und Stalins Sozialismus einst zur Sesshaftwerdung gezwungen, leben sie heute am absoluten Rand der Gesellschaft. Rassistische Diskriminierung verhindert eine gesellschaftliche und ökonomische Partizipation. Aber sie sind EU-Bürgerinnen und können sich theoretisch frei bewegen. Solange im kleinen EU-Europa solche massiven sozialen Unterschiede existieren, wird es vorkommen, dass sich einige Wenige organisieren und im reichen Österreich betteln. Das ist ihr gutes Recht.

Eine Lobby gegen das Bettelverbot

Fast sah es so aus, als ob das Bettelverbot in Oberösterreich ohne größere Kritik über die Bühne geht. Um das zu verhindern, hat sich in Linz spontan die BettelLobby OÖ gegründet, die für den 5. März zum 1. Linzer Massenbetteln aufgerufen hat. Die Aktion wurde von 65 Organisationen quer durch die Gesellschaft unterstützt. Das Spektrum reicht von linken Parteien und Jugendorganisationen über zahlreiche Vereine der freien Kunst- und Kulturszene bis hin zu katholischen und evangelischen Laienorganisationen. 400 Menschen folgten dem Aufruf und bettelten in einer langen Schlange, die sich vom Taubenmarkt bis zum Passage- Einkaufszentrum zog. Die Teilnehmerinnen waren bunt gemischt und die Stimmung trotz der Kälte sehr gut. Die mediale Resonanz war groß. Binnen kurzer Zeit schaffte es die BettelLobby, das Verbot zu thematisieren und eine landesweite Diskussion auszulösen. In der Bettel-Diskussion erleben wir ein Schema, das wir bereits zur Genüge aus der Asyl-Debatte kennen und das zur Verrohung und Verdummung politischer Diskurse in Österreich führt. Ein Ende der geistigen Abwärtsspirale ist derzeit nicht in Sicht. Ein Ende des Widerstands dagegen aber auch nicht.

www.bettellobby.at

Christian Diabl ist Aktivist der KAPU und Sprecher der BettelLobby OÖ.

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