Aus der Leseliste von Karl-Heinz Mayer / Fernleihe zur Diskursreihe Summe = stellt die KUPF-Zeitung den neuesten Text von Boris Groys vor.
von Reinhold Schachner
Der Kunsttheoretiker Boris Groys stellt in seinem neuesten Buch die These auf, daß die avantgardistische Kunst sich selbst auf das Medium, das sie trägt, reduziert, und sich dadurch der Eigenlogik der Kunstarchive unterwirft. Dieser umfangreiche Essay „Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien“ ist ein Weiterdenken des 1992 von ihm erschienen Buchs „Über das Neue“.
Darin beschrieb Groys die Kriterien der kulturellen Ökonomie, die für die Aufnahme von Dingen aus der profanen Welt in den Raum der Kunstarchive verantwortlich sind. Mit dem neuen Essay geht er einen Schritt weiter; er betrachtet die Archive nicht mehr, wie es gern gemacht wird, als Repräsentationsraum von Dingen aus der profanen Welt, die aus Dokumentationsgründen den Eingang ins Archiv finden. Vielmehr denkt Groys an ein logisches, dynamisches System der Archive, das überhaupt nicht darauf abzielt, die Wirklichkeit abzubilden, denn wenn ein Objekt ins Archiv gelangt, so unterscheidet es sich erst recht von den Dingen aus der profanen Welt.
Die ersten Anzeichen der Eigenlogik der Archive kristallieren sich für Groys mit dem aufkommen des Kubismus heraus. An dieser stelle nimmt Groys bezug auf den Medientheoretiker McLuhan. McLuhans Formel „the medium is the message“ (das Medium ist die Botschaft) dient Groys dazu, seine phänomenologische Medientheorie zu entwickeln.
Der klassischen Avantgarde (Duchamp, Kandinsky, Mondrian und Malewitsch) gelang es, das Kunstwerk auf sein Medium, seinen materiellen Träger, zu reduzieren. Das hat für die/den avancierte/-n Kunstbetrachter/-in die Folge, daß sie/er nicht mehr nach Bedeutung und/oder Intentionalität des Kunstwertes suchen muß. Wenn diese beiden Kategorien wegfallen, so bleibt nur noch das Medium übrig, das von nun an die Aufmerksamkeit geschenkt bekommt. Groys wird jetzt sehr kryptisch: Er führt den medienontologischen Verdacht ein; eine Kombination des cartesianischen Zweifels und der klassischen ontologischen Fragestellung nach dem Sinn vom Sein. Beim/bei der Betrachter/-in von modernen Kunstwerken stellt sich der Verdacht ein, daß sich hinter der medialen Oberfläche, die mit vertrauten Zeichen besetzt ist, ein Inneres – nach Groys der submediale Raum – befindet, von dem aus die wahre Botschaft der modernen Kunst ausgesendet wird.
Ein Paradebeispiel wäre das „schwarze Quadrat“ von Malewitsch. Dieser Verdacht ist der Motor für die Avantgarde und zugleich auch für die Archive, denn er sorgt für die Umschreibung alter, bekannter Zeichen auf neue Medien, die dann aufgrund ihrer besonderen Neuartigkeit Einzug ins Archiv nehmen können; d.h., die moderne Kunst muß verdächtig wirken, und zwar in dem Sinne, daß vertraute Zeichen befremdlich präsentiert werden. Zu dieser Theorie gelangt Groys, indem er sich mit der Subjektdekonstruktion und der Ökonomie des Tausches, wie sie im sogenannten Poststrukturalismus zu finden sind, auseinandersetzt. Beinahe die Hälfte des Essays bezieht sich explizit auf Denker des Poststrukturalismus. Groys ist froh über die gebotene Subjektdekonstruktion, da den Fragen nach Bedeutung und Intentionalität moderner Kunst eine Absage erteilt wird. Aber er bemängelt zugleich das Haftenbleiben des Dekonstruktivismus an der medialen Zeichenoberfläche. Dort fand zwar eine Auseinandersetzung mit dem Subjekt statt, jedoch blieb der submediale Raum davon unberührt. Gerade im Submedialen steckt ein Subjekt – und wir haben den Verdacht, daß es dort steckt und die Botschaften des Mediums aussendet, nur können wir es nicht beweisen. Doch der Verdacht reicht, damit für uns und für das Archiv die moderne Kunst von Interesse ist, denn eine dem Tausch ähnliche Ökonomie des Verdachts verursacht den Wunsch das Subjekt aufzuspüren, aber es gelingt nicht. Da bleibt nur die Möglichkeit, ständig neue Kunst zu archivieren, in der Hoffnung, endlich auf das Subjekt zu stoßen. Somit hat Groys eine These für das dynamische Prinzip der Archivierung.
Spätestens jetzt fühlt man sich als Leser/-in im Stich gelassen; Groys versucht zwar seine theoretischen Ausführungen mit zum Teil kurzweiligen und modernen Beispielen zu belegen (alien-Filme), doch damit alleine kann der Essay den Touch des „Mystischen“ auch nicht abstreifen.
Reinhold Schachner